Wertschöpfung und Innovation basieren bereits heute vielfach auf Daten. Die selbstlernenden Algorithmen Künstlicher Intelligenz werden diese Entwicklung weiter vorantreiben. Die Verfügbarkeit von Daten gewinnt daher mehr und mehr an Bedeutung. Größere Unternehmen und Konzerne haben hier gegenüber kleineren Konkurrenten eine klaren Vorteil: Sie können innerhalb ihrer eigenen Netzwerke auf erweiterte Datensätze zugreifen. GAIA-X gleicht diesen Nachteil aus und macht über Plattformen und gemeinsam genutzte Datenpools große Datensätzen auch für kleine und mittlere Unternehmen besser und leichter verfügbar.

Die europäische Dateninfrastruktur ermöglicht damit beispielsweise Lösungen für die werk- und firmenübergreifende Produktion (Shared Production), für vernetzte Shopfloors und Lieferketten (Smart Factory) oder Industrie 4.0-Anwendungen. Auch die öffentliche Verwaltung, die Gesundheitswirtschaft, die Agrar- und Landwirtschaft, das Finanzwesen sowie die Bereiche Smart Living, Energie und Mobilität werden von den Anwendungen, die GAIA-X ermöglicht und über die entwickelte Dateninfrastruktur auch anbietet, profitieren.

GAIA-X schafft auf europäischer Ebene die wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen, um Daten zu vernetzen und daraus Mehrwerte zu generieren. Die Vernetzung der Daten erfolgt über Cloud-Computing, entsprechend besteht der Kern von GAIA-X darin, eine europäische Cloudinfrastruktur zu entwickeln. Dem Marktforschungshaus Gartner zufolge gehören Cloud-Lösungen in der globalen Wirtschaft längst zum Mainstream. Software- und Infrastrukturlösungen werden immer seltener physisch auf Rechnern vor Ort abgelegt, dafür immer häufiger „as a service“ über die Cloud angeboten. Dank superschneller 5G-Mobilfunk-Verbindungen wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Denn auch das Internet der Dinge sowie teilautonom oder autonom fahrende Fahrzeuge werden ihre Datenströme über Cloudlösungen navigieren.

Deutsche Unternehmen folgen dieser Entwicklung bislang zögerlicher als Unternehmen aus anderen Ländern. Ein wichtiger Grund dafür sind neben oft noch zu langsamen Internetverbindungen auch Datenschutzbedenken. Letztere wiegen umso schwerer, als die größten Cloudanbieter aus den USA stammen. Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud teilten sich im zweiten Quartal 2020 fast 60 Prozent des weltweiten Cloudgeschäfts, so das Ergebnis der Marktforscher von Canalys. Auf Platz vier folgt mit Alibaba und fünf Prozent Marktanteil ein chinesischer Anbieter. Ähnliche Zahlen liefert die Synergy Research Group, der zufolge es mit der SAP aus Walldorf lediglich ein europäischer Anbieter in die Top Ten schafft, mit einem Marktanteil von einem Prozent.


Cloudnutzung nach europäischen Leitlinien

Wie problematisch die Vormachtstellung von US-Firmen auf dem Markt der Cloudanbieter ist, zeigte sich unter anderem im Sommer 2020: Der EuGH kippte nach einer Klage des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems das Privacy Shield Abkommen zwischen den USA und der EU. Das Abkommen sollte sicherstellen, dass Daten zwischen den USA und der EU rechtssicher ausgetauscht werden können. US-Ermittlungsbehörden wird allerdings aufgrund des CLOUD Acts zugestanden, auf Daten zuzugreifen, die auf US-Servern liegen. Das aber widerspricht den europäischen Bestimmungen der DSGVO.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist GAIA-X als Projekt zu verstehen, das europäische Unternehmen in die Lage versetzt, Clouddienste zu nutzen, die europäischen Leitlinien folgen. Die wichtigsten Werte dabei sind:

  • Transparenz und Fairness hinsichtlich der Anbieter und Dienste

  • Vertrauensvolle Nutzung und Speicherung von Daten und Diensten, was Datensouveränität miteinschließt, also die Befähigung über die eigenen Daten stets bestimmen zu können

  • Sicherheit durch Qualitäts- und Zertifizierungsstandards

Entsprechend dieser Leitlinie folgt GAIA-X den Prinzipien Security und Privacy by Design. Sicherheitsstandards und der Schutz der Privatsphäre sind daher bereits in der Konzeptionierung der Systeme mitzudenken und, soweit möglich, durch technische Lösungen zu gewährleisten.


Eine dezentrale, offene Dateninfrastruktur als Basis eines Ökosystems

So sehr GAIA-X sich durch diese Wertvorgaben von den Cloudanbietern aus den USA und China unterscheidet, ist es jedoch nicht einfach eine Art supranationaler „Staatscloudanbieter“ auf europäischer Ebene. GAIA-X wird daher auch nicht einfach ein Konkurrent der sogenannten Hyperscaler AWS, Microsoft Azure und Google Cloud sein. Während diese ihre Angebote beliebig skalieren, indem sie innerhalb eines geschlossenen Systems Server je nach Bedarf zu Netzwerken (Grid Computing) verbinden, vernetzt GAIA-X zentrale und dezentrale Infrastrukturen zu einem homogenen System. Ermöglicht wird dies durch offene Schnittstellen und Standards. Im Ergebnis entsteht so ein Ökosystem für nutzerfreundliche Services, bei denen die Anbieter identifizierbar und die unterschiedlichen Angebote miteinander kombinierbar sind. Bildlich gesprochen spielt Europa mit GAIA-X seine Stärke aus, durch Zusammenschluss mehr zu erreichen als die bloße Summe der Einzelteile ergäbe.

Kritiker sehen darin jedoch zugleich die größte Schwäche des Projekts, da dadurch der Abstimmungsbedarf besonders hoch sei. „Die konsensuale Meinungsbildung (…) macht die Sache nicht schneller“, gibt auch Boris Otto, Interims-Technikchef der Dachorganisation GAIA-X AISBL und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik, gegenüber dem Handelsblatt zu und ergänzt: „Wir müssen zu Potte kommen.“ Die EU-Kommission hat bereits durchblicken lassen, dass sie GAIA-X mit zwei Milliarden Euro unterstützen wird. Deutschland plant gemeinsam mit Spanien, Frankreich und Italien ein gemeinsames Förderprogramm aufzulegen. Dabei wird es vor allem darum gehen, ab 2021 rasch konkrete Anwendungen (Use Cases) für GAIA-X in die Praxis zu bringen.


Struktur des Projekts: GAIA-X Association (in Gründung) und GAIA-X Hubs

An der ursprünglich deutsch-französischen Initiative beteiligen sich mittlerweile weitere europäische Partner aus Belgien, Italien, Finnland, Luxemburg, Schweden und den Niederlanden. Mit der Unterstützung der jeweiligen Nationalstaaten und in Abstimmung mit der EU-Kommission treiben sie GAIA-X voran. Schon derzeit sind mehr als 300 Organisationen aus vielen Ländern an GAIA-X beteiligt. Hierzu gehören unter anderem Technologieunternehmen – sowohl große Konzerne als auch kleine und mittlere Unternehmen – die bei der technologischen Ausarbeitung unterstützen. Um die Anforderungen an die Infrastruktur aus der Anwenderperspektive zu formulieren und so aus unterschiedlichen Domänen heraus mitzugestalten, entstanden GAIA-X Hubs. Als Community-basiertes Co-Creation-Projekt beruht GAIA-X damit auf zwei Säulen: der GAIA-X Association (in Gründung) sowie dem europäischen Netzwerk von GAIA-X Hubs und Data Spaces.

Die GAIA-X AISBL ist verantwortlich für die Architektur der entstehenden Cloud-basierten Infrastruktur, für die Richtlinien und Regeln wie etwa der Nutzung von Personen- und Unternehmensdaten sowie die Auswahl und Verwendung der Standards bzw. die Initiierung der neuen Standardisierungsprozesse. Die Mitglieder der GAIA-X AISBL beteiligen sich an dem gesamten Entscheidungsprozess. Sie können beispielweise Kandidaten für den Verwaltungsrat vorschlagen, bei der Generalversammlung abstimmen und zu Datenräumen und Kernkomponenten beitragen. Dafür zahlen die Mitglieder eine jährliche Gebühr, die nach der Unternehmensgröße sowie Art der Organisation erhoben wird.

Im Rahmen von national organisierten GAIA-X-Hubs können sowohl Unternehmen als auch Forschungsorganisationen sich freiwillig an dem Design und der Entwicklung von Datenräumen beteiligen, ohne ein Mitglied der GAIA-X AISBL zu sein. Die Mitgliedschaft in allen nationalen GAIA-X Hubs ist für alle Unternehmen und Organisationen kostenlos. Die GAIA-X Hubs sind kein Bestandteil des GAIA-X AISBL. Sie stehen jedoch in engem Kontakt, um möglichst breite Benutzeranforderungen an die Kernkomponenten der Infrastruktur zu erheben und in die Umsetzung von Data Spaces miteinfließen zu lassen.