Warum die Supercomputer der Zukunft bereits jetzt ein Thema für Unternehmen sind

Mehr Rechenleistung in kürzerer Zeit 

Quantencomputing verspricht die Berechnung von Aufgaben, die sich mit klassischen Computern bislang nicht oder nur mit großem Aufwand und viel Zeit lösen lassen. 2019 konnte Google erstmals zeigen, dass ein Quantencomputer auf Basis eines supraleitenden Prozessors („Quantenchip“) ein Problem schneller lösen konnte als konventionelle Computer. Die Forscher gaben an, dass der von ihnen entwickelte Quantencomputer eine Aufgabe in nur 200 Sekunden gelöst hat, für die der damals schnellste Supercomputer der Welt 10.000 Jahre Rechenzeit benötigt hätte. Konkurrent IBM zweifelte diesen Vergleich zwar an und rechnete vor, dass die Rechendauer des Problems bei einem klassischen Supercomputer bei etwa zweieinhalb Tagen liegen würde. Mit dieser Kritik bescheinigte letztlich jedoch auch IBM, dass Google ein entscheidender Durchbruch gelungen war: Quantencomputer sind konventionellen Rechnern überlegen. Was in der Theorie schon lange belegt war, wurde damit nun auch in der Praxis nachgewiesen. 

Chinesische Forscher haben die gleiche Aufgabe, allerdings in einer komplexeren Version, 2021 noch einmal von einem etwas verbesserten Quantenrechner berechnen lassen. Rechnete der Quanten-Chip von Google noch mit 53 Quantenbits (Qubits), standen dem neuen Quantenrechner aus China 56 Qubits zur Verfügung. Während Googles Quantenrechner laut Studienbericht für die Lösung der komplexeren Aufgabe 16 Tage benötigt hätte, erledigte der chinesische Quantenrechner die Aufgabe in nur 70 Minuten. Das Forscherteam um den Quantenphysiker Jian-Wei Pan von der University of Science and Technology of China in Hefei konnte damit nachweisen, dass durch das Hinzufügen weniger Qubits die Rechenleistung von Quantencomputern exponentiell wächst.  

Quantencomputer bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten 

Die beiden genannten Beispiele sind dabei lediglich die Spitzen erster Quantencomputer-Anwendungen. Sie offenbaren allerdings schon jetzt das enorme Potenzial, das darin liegt. Komplexe Vorgänge und Prozesse, deren Berechnung mit konventionellen Rechnern nicht möglich ist, können mit Quantencomputern simuliert und damit auch optimiert werden. Nachfolgend einige Beispiele und mögliche Anwendungsgebiete: 

  • Optimierung logistischer Abläufe: Wer den Lieferverkehr effizienter gestalten will, muss dafür vor allem die Zahl der Leerfahrten minimieren. Dafür berechnen klassische Computer schon heute für jedes Fahrzeug eine optimale Strecke. Kann diese aufgrund eines Staus, einer Panne oder anderer ungeplanter Umstände nicht eingehalten werden, muss die Streckenberechnung allerdings von vorne beginnen. Ein Quantencomputer kann dagegen die optimale Strecke für jedes Fahrzeug der Flotte in Abhängigkeit der anderen Fahrzeuge berechnen und so für jedes einzelne Lieferfahrzeug noch bessere Routen finden als konventionelle Computer − und dabei sogar noch auf jede Veränderung im Verkehrsnetz aktuell reagieren. So lassen sich Leerfahrten vermeiden, der CO2-Ausstoß mindern und die Zahl der Unfälle reduzieren.  

  • Verkehrsströme lenken: Mit Blick auf den Verkehr der Zukunft könnten Quantencomputer auch eine entscheidende Rolle bei der Steuerung von autonom fahrenden Fahrzeugen spielen. Sie könnten unter anderem dazu beitragen, die Fahrzeuge so zu lenken, dass die Verkehrsinfrastruktur für alle Verkehrsteilnehmenden jeweils optimal genutzt wird.  

  • Biotechnologie: Bislang ist die Simulation chemischer Vorgänge mit klassischen Computern nicht immer möglich bzw. kann häufig nur Ergebnisse mit Annäherungswerten liefern. Mithilfe von Quantencomputing lassen sich chemische Reaktionen, die auf der Interaktion von Elektronen basieren, wesentlich exakter modellieren. Die molekulare Zusammensetzung von Medikamenten kann damit berechnet und simuliert werden, sodass sich Medikamente effizienter und schneller entwickeln lassen.  

  • Materialforschung: Quantencomputer erlauben es auch, eine Vielzahl parallelisierter Rechenoperationen durchzuführen und alle denkbaren Lösungen gleichzeitig darzustellen. Dadurch kann das Verhalten neuer Materialien unter unterschiedlichen Bedingungen simuliert und deren Eigenschaften bereits am Rechner überprüft werden. So lassen sich beispielsweise neue Katalysator-Materialen entwickeln, die den Einsatz von Edelmetallen in Brennstoffzellsystemen deutlich reduzieren. Klimaneutrale Antriebe könnten damit zukünftig auch ressourcenschonender hergestellt werden. 

  • Optimierung von Produktions- und Fertigungsprozessen:  Die Anwendungspalette reicht hier von der Optimierung von Schichtplänen über eine bessere Auslastung von Maschinen und deren maßgeschneiderte Belieferung mit Rohmaterialien zum richtigen Zeitpunkt bis hin zur Berechnung optimaler Arbeitswege von Robotern und vielem mehr.  

  • Künstliche Intelligenz und Machine Learning: Die Parallelisierung von Rechenoperationen ermöglicht „Big Data“-Analysen in einer neuen Dimension. Mehr Daten können in kürzerer Zeit verarbeitet werden, sodass sich etwa Mustererkennungen auf Basis künstlicher neuronaler Netze noch besser und schneller trainieren als bisher. 

Die „etwas andere“ Welt der Quantenphysik 

Quantencomputing zählt zu den Quantentechnologien der sogenannten zweiten Quantenrevolution, zu der auch die Bereiche Quantensensorik, -simulation, -meterologie, -kryptografie und -kommunikation gerechnet werden.  Während die erste Quantenrevolution sich auf Technologien bezieht, die auf Erkenntnissen der Quantenphysik beruhen – beispielsweise Transistoren, Atomuhren, Laser, GPS oder Magnetresonanztomografie (MRT) −, sind Technologien der zweiten Quantenrevolution in der Lage, Quantenzustände zu manipulieren und mit ihnen zu arbeiten.  

Was die Quantenwelt auszeichnet, lässt sich recht gut am Beispiel von Elektronen verdeutlichen. Dem Modell der klassischen Physik nach lassen sich Elektronen als Teilchen beschreiben, die als kleine Kugel um einen Atomkern herumschwirren. Die Entdeckungen der Quantenphysik machten jedoch deutlich, dass das Elektron sich nicht nur wie ein Teilchen verhält, sondern auch wie eine Welle. Diese Eigenschaft wird auch Welle-Teilchen-Dualismus genannt und widerspricht den Lehren der Mechanik, in der u. a. gilt, dass etwas nicht zugleich auch etwas anderes sein kann – Welle und zugleich Teilchen. In der Mikrowelt der Atome begegnen uns weitere Eigenschaften, die unserer Intuition und dem Verständnis der klassischen Physik und den Traditionen der abendländischen Philosophie zuwiderlaufen. Während in der Makrowelt ... 

  • sich die Dinge stets in einem eindeutigen Zustand befinden (eine Tasse steht auf dem Tisch und nicht darunter), können Quantenobjekte gleichzeitig an verschiedenen Orten sein – sie befinden sich in einer Superposition oder Überlagerung. 

  • das Kausalitätsprinzip gilt, wonach jeder Effekt eine Ursache haben muss, die man beispielsweise einer Kraft zuschreiben kann, lässt sich das Verhalten von Quantensystemen nicht eindeutig bestimmen und kann nur noch mit Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden. 

  • die Dinge unabhängig von unserer subjektiven Wahrnehmung sind (die Tasse ist auch dann noch eine Tasse, wenn wir nicht im Raum sind), zeigen Quantenteilchen erst dann Eigenschaften (verhalten sich bspw. entweder als Welle oder Teilchen), wenn wir sie messen. 

  • sich die Dinge einzeln und unabhängig voneinander verhalten (die Tasse auf dem Tisch wird nicht von der Tasse auf der Spüle beeinflusst), können Quantenteilchen auch unabhängig von ihrer lokalen Position miteinander gekoppelt sein – die Quantenphysik spricht hier von Verschränkung.  

Von der Quantenphysik zum Quantencomputer 

Quantencomputer machen sich diese Eigenschaft zunutze, indem sie die Energiezustände von Elementarteilchen in einem Speichermedium manipulieren und die Teilchen so als Informationsträger nutzen. In Analogie zu den Bits klassischer Computer, die nur die Zustände 0 und 1 kennen, rechnen Quantencomputer mit Quantenbits, abgekürzt: Qubits. Diese Qubits befinden sich im Zustand der Superposition und Verschränkung, sodass mit ihnen komplexe Rechenoperationen für mehrere Zahlen gleichzeitig ausgeführt werden können. Das ermöglicht die Entwicklung von Algorithmen, mit denen sich Rechenaufgaben wesentlich schneller als mit konventionellen Rechnern ausführen lassen.  

Wie sich Qubits am besten generieren lassen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der gegenwärtigen Forschung und Entwicklung. Es gibt dafür unterschiedliche Ansätze, die als Technologie- oder Hardwareplattformen bezeichnet werden. Elektronenspin-Qubits nutzen beispielsweise die zwei unterschiedlichen Drehrichtungen von Elektronen, um auf deren Basis zu rechnen. In sogenannten Ionenfallen werden Ionen etwa in einem Vakuum eingefangen und gekühlt, sodass sie sich fast nicht mehr bewegen. Durch Bestrahlung mit Lasern kann der Zustand manipuliert und gesteuert werden. Die derzeit weltweit führenden Plattformen (wie die anfangs genannten Beispiele von Google und dem Quantencomputer der University of Science and Technology of China in Hefei) basieren auf Supraleitern. Alle Ansätze haben ihre Vor- und Nachtteile. Derzeit ist noch nicht absehbar, welcher Ansatz bzw. welche Ansätze sich langfristig durchsetzen werden.  

Bislang kämpfen zudem alle Ansätze mit der Herausforderung, dass Qubits durch Interaktion mit der Umgebung ihre Eigenschaften wie Kopplung und Überlagerung verlieren – und dann nicht mehr für quantenbasierte Rechenoperationen genutzt werden können. Das macht aufwendige Aufbauten zum Schutz der Quantenrechner notwendig, die sowohl teuer in der Anschaffung und im Betrieb sind. Auf absehbare Zeit wird es daher wohl keine Quantencomputer geben, deren Anschaffung und Betrieb sich für einzelne Unternehmen in Deutschland rechnet.  

So können sich Unternehmen auf Quantencomputing vorbereiten 

Um dennoch möglichst vielen Unternehmen und Organisationen Zugang zu Quantencomputing zu ermöglichen, werden die neuen Supercomputer in den kommenden Jahren vor allem als Cloudservice angeboten. Nutzerinnen und Nutzer, die beispielsweise die effiziente Routenplanung eines selbstfahrenden Fahrzeugs in einer Werkshalle ermitteln möchten, entwickeln dann für die Aufgabe geeignete Quantenalgorithmen bzw. beauftragen einen Softwaredienstleister damit. Für die Berechnung der Aufgabe wird dann über ein Ticket die Nutzung eines Quantencomputers in einem zentralen Rechenzentrum gebucht. 

Der erste zentrale Quantencomputer auf deutschem Boden, dessen Nutzung über Tickets gebucht werden kann, ist der mit 27 supraleitenden Qubits ausgestattete IBM Q System One des Kompetenzzentrums „Quantencomputing Baden-Württemberg“ am Standort Ehningen. Das Kompetenzzentrum wird koordiniert vom Fraunhofer IAF und dem Fraunhofer IAO. In Kooperation mit IBM Deutschland arbeiten in dem Verbund mehr als 60 Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an dem Ziel, quantenbasierte Rechenstrategien zu entwickeln. Der Quantencomputer kann von Unternehmen jeder Größe und Forschungseinrichtungen für anwendungsbezogene Projekte genutzt werden. Der Betrieb des Quantencomputers unterliegt deutschem Datenschutzrecht. In der ersten Projektlaufzeit zwischen 2021 und 2022 werden sechs Projekte gefördert. 

Für an Quantencomputing interessierte Unternehmen besonders interessant ist das Projekt SEQUOUI (Software-Engineering industrieller, hybrider Quantenanwendungen und -algorithmen). Es erforscht anhand anwendungsrelevanter Fragestellungen, wie sich Quantencomputer möglichst rasch wirtschaftlich nutzen lassen. Dazu konzentriert sich das Projekt vor allem auf die Verwendung sogenannter hybrider Verfahren, bei denen Arbeiten zwischen konventionellem und Quantencomputer aufgeteilt werden. Im Fokus stehen die Bereiche Fertigung, Entwicklung, Logistik, Energie und die Finanzbranche.  

Fazit 

Auf absehbare Zeit werden Quantencomputer klassische Computer also noch nicht ersetzen. Hardware und Software von Quantencomputing befinden sich derzeit noch in der „proof-of-concept“-Phase – sie sind noch nicht leistungsfähig genug, vor allem aber auch noch zu fehleranfällig, um sie umfassend anwenden zu können. Zugleich ist aber auch klar, dass Quantencomputing für ein fortschrittliches Industrieland wie Deutschland ein „Must have“ ist. Zumal der Aufbau von Wissen und Material auch eine Frage der Sicherheit ist. Quantencomputer werden voraussichtlich schon bald in der Lage sein, Verschlüsselungen, die heute noch als „absolut sicher“ gelten, spielend zu „knacken“.  

Unternehmen sollten sich daher schon jetzt mit Quantencomputing beschäftigen und erproben, wie sie die neuen Supercomputer in ihre Prozesse integrieren können. Eine gute Möglichkeit dazu bieten Netzwerke wie das Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg. Die Europäische Union, die Bundesregierung und Länder wie Baden-Württemberg fördern zudem die Forschung und Entwicklung von Quantencomputing. In den kommenden Jahren wird es vor allem darum gehen, sich die notwendige Technik und das erforderliche Know-how im Umgang mit Quantencompting anzueignen. In Aussicht steht nichts weniger als eine Optimierung nahezu aller wirtschaftlicher Bereiche, inklusive innovativer Lösungen für Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Ressourcenknappheit.