Roboter sind aus der Produktion heute nicht mehr wegzudenken: Mehr als 220.000 Industrieroboter waren 2019 deutschlandweit im Einsatz – mehr als in jedem anderen europäischen Land. Das hat eine Studie der International Federation of Robotics (IFR) ergeben, dem internationalen Sprachrohr der Robotik. In der Fertigung geht der Trend dabei klar zum Einsatz kollaborativer Roboter: Die sogenannten „Cobots“ arbeiten unmittelbar ohne Abgrenzung mit Menschen zusammen. Cobots können daher flexibler eingesetzt werden als normale Roboter, die aus Sicherheitsgründen fest montiert und in abgegrenzten Zonen agieren. Das macht sie besonders interessant für kleinere und mittlere Unternehmen, vor allem, wenn sie kleinere Stückzahlen und Sonderanfertigungen produzieren. 

Je näher Mensch und Roboter zusammenarbeiten, desto dringlicher wird jedoch auch die Forderung, die der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov bereits 1950 in seinem berühmten ersten Gesetz der Robotik formuliert hat: „Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen.“ Aufgrund ihrer starren Struktur und mechanischen Steifigkeit ist das bei vielen heute gängigen Robotermodellen jedoch nicht ganz auszuschließen. Auch Cobots werden daher vielfach noch immer hinter Schutzzonen eingesetzt. Ein vielversprechender Ansatz für mehr Sicherheit und Flexibilität bieten die sogenannten „weichen“ Roboter der Soft Robotics. 

Soft Robotics ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld, bei dem der Mensch nicht mehr das einzige Vorbild ist. Inspirationen finden sich auch in der Tierwelt, etwa bei Quallen, Regenwürmern oder Fischen. In Baden-Württemberg forschen bereits einige wissenschaftliche Einrichtungen und Standorte wie das Cyber Valley zu Soft Robotics. So beispielsweise auch das Max-Plank-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart (MPI-IS), welches sich mit der Entwicklung eines „Miliroboters“ im medizinischen Bereich auseinandersetzen. 
 

Anwendungsgebiete für Soft Robotics 

Weiche Roboter können Handlungen durchführen, die für klassische Roboter nicht möglich sind. Sie können sich verformen und ihre Größe ändern, um beispielsweise durch enge Bereiche zu navigieren. Für Fertigungsbetriebe besonders interessant sind weiche Cobots, die mit Menschen interagieren. Schon heute werden in der Industrie Anwendungen eingesetzt, bei denen einzelne Komponenten aus weichen Materialien verwendet werden. Ein gutes Beispiel dafür sind Greifmodule für Industrieroboter aus Silikon mit integrierten Lufttaschen, die pneumatisch betrieben werden. Die Form des Greifarms ist so gestaltet, dass er empfindliche und formvariable Produkte wie Obst sicher greifen kann, ohne sie zu beschädigen. Auch hybride Robotikstrukturen sind bereits im Produktiveinsatz. Klassische Industrieroboter mit stabilisierenden Skeletten aus steiferen Materialien wie Metall werden dabei mit einer weichen, künstlichen Haut mit druckempfindlicher Sensorik ausgerüstet. Der Roboter kann so Berührungen wahrnehmen und durch sanften Druck vom Menschen in die gewünschte Richtung gelenkt werden. 

Ein großes Anwendungsgebiet für Soft Robotics ist der biomedizinische Bereich. Hier reicht die Anwendung von Milliroboter in der Medikamentenverabreichung über minimal-invasive Chirurgie oder leichte, aktive Implantate und Prothesen. Auch leichtgewichtige, tragbare Exoskelette können entwickelt werden, um mobilitätseingeschränkten Menschen oder Menschen im höheren Alter Mobilität zu ermöglichen. Solche Exoskelette können aber auch in Berufen mit körperlicher Belastung unterstützen. Als Kerntechnologie in diesen Anwendungen werden künftig künstliche Muskeln eingesetzt, die sich durch Stromimpulse steuern lassen.


Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen 

Der nur vier Millimeter messende Milliroboter vom MPI-IS aus Stuttgart kann über unwegsames Terrain laufen und krabbeln, springen, durch Flüssigkeiten schwimmen und kleine Lasten tragen. Gesteuert wird er über magnetische Partikel, die in die Polymerschicht des Roboters eingelassen sind. Einem Paketboten ähnlich könnte der Milliroboter in der Pharmazie eingesetzt werden, um Medikamente dorthin zu transportieren, wo sie im Körper gebraucht werden. Das MPI-IS hat den Milliroboter zu einem Baukastensystem weiterentwickelt, sodass nach dem Lego-Prinzip weiche Cobots passgenau für eine gewünschte Anwendung hergestellt werden können. Diese Entwicklung ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass bei Soft Robotics oft unterschiedliche Disziplinen wie Bionik (das Übertragen von Phänomenen der Natur auf die Technik), Informatik oder Materialwissenschaften zusammenwirken.

Insbesondere die Fortschritte im Materialdesign und deren Fertigungsprozesse tragen viel zur Entwicklung der Soft Robotics bei. Neue technische Silikone, formbare Polymere oder der 3D-Druck von Elastomeren ermöglichen es, in der Robotik vermehrt formbare Materialien einzusetzen. Die verwendeten Polymere geben beispielsweise bei Druck nach, was durch eingebaute Aktoren aktiv gesteuert werden kann. Die Gestaltung, die Fortbewegung und die Interaktion von Soft Robots mit der Umwelt, wie Greifen und Wahrnehmen, folgt häufig bionischen Prinzipien. Die Fortbewegung des vom MPI-IS entwickelten Milliroboters ähnelt bei Bewegungen auf dem Boden der von Raupen, in Flüssigkeiten der von Quallen. Die Breite, der für Soft Robots verwendeten Technologien, ist immens und kann hier nur angedeutet werden: So werden beispielsweise auch pneumatische oder hydraulische Aktoren, Spanndrähte oder elektroaktive Polymere, die auf Strom oder Licht reagieren, verwendet, um die Bewegungen zu realisieren.
 

Ausblick

Durch Soft Robotics wird die Roboterentwicklung zunehmend individualisierter. Die Bauweise richtet sich noch stärker an der jeweiligen Anwendung oder der Produktionsumgebung aus. Die Materialeigenschaften erhalten dabei einen größeren Stellenwert bei der Gestaltung, etwa wenn es um Aspekte wie Robustheit, Abriebfestigkeit und Flexibilität geht. Eine zentrale Herausforderung für viele Anwendungen ist zudem die konstante Energieversorgung in verformbaren Strukturen, die daher ebenfalls dehnbar und beweglich sein muss (Flexible Hybridelektronik). Um dafür Lösungen zu erarbeiten, müssen viele verschiedene Kompetenzen von Anwendern, Herstellern und Forschung zusammengeführt werden.