Mithilfe einer virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) lassen sich die Abläufe von Maschinen und Anlagen simulieren, noch bevor sie real in Betrieb gehen. Technische Grundlage der VIBN ist eine 3D-Simulation. Da dort sämtliche Daten der Anlage bzw. Maschine erfasst sind, wird diese Simulation auch als digitaler Zwilling bezeichnet. Alle Planungen, Änderungen und Einspielungen können auf dem digitalen Zwilling virtuell umgesetzt und getestet werden. Dadurch ergeben sich sowohl Vorteile für den Konstruktionsprozess als auch für die reale Inbetriebnahme (IBN), den Betrieb, die Instandhaltung sowie mögliche Reparaturen und Erweiterungen der Maschinen und Anlagen. Im Ergebnis werden Kosten gespart, Planungs- und Programmierzeiten verkürzt, das Risiko von Fehlern reduziert und die Qualität der Anlagen und Maschinen verbessert.

Methoden

Die einfachste Form der VIBN ist eine reine Ablaufsimulation. Diese zielt im Grunde nur auf eine Validierung des Steuerungskonzeptes. Angesichts der im Rahmen von Industrie 4.0 immer komplexer werdender Anlagen und Maschine ist das zwar ein Fortschritt, zugleich hat diese Methode jedoch den Nachteil, dass eine Übertragung der Ergebnisse der Validierung in die reale Maschine mit erneutem Programmieraufwand verbunden ist. Moderne VIBN-Lösungen ermöglichen daher eine Kopplung der Maschinen- bzw. Anlagensoftware mit ihrem digitalen Zwilling mithilfe einer speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS). Über die SPS lassen sich Simulationen entweder mit oder ohne Anbindung an die Hardware durchführen. Wird die Hardware mit eingebunden, reduziert das den Unterschied zwischen virtueller und realer Inbetriebnahme. Durch die zusätzliche Integration spezieller Echtzeitkerne können Simulationen sogar in Echtzeit vorgenommen werden.

Für die Generierung des digitalen Zwillings stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: erstens die Konstruktion eines Modells der Anlage bzw. Maschine über repräsentative, funktionsrelevante Standardkomponenten oder zweitens direkt aufgesetzt auf der CAD-Konstruktion. Welche Methode jeweils zum Einsatz kommt, sollte über eine Kosten-/Nutzen-Analysen entschieden werden.

Vorteile und Grenzen der virtuellen Inbetriebnahme

Das Engineering profitiert von der Verwendung eines digitalen Zwillings, da bereits in der Konstruktion die individuellen Vorgaben des Auftraggebers überprüfbar sind. Auch sehr komplexe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Maschinen- und Anlagenbereichen können so bereits im Engineering berücksichtigt und Lösungen vorab getestet werden. Das Risiko von Fehlplanungen wird dadurch effektiv minimiert, die Qualität der Maschinen und Anlagen optimiert. Nicht zuletzt erleichtert die VIBN aber auch die Einbindung der Maschine bzw. Anlage in die reale Produktionsumgebung.

Zwar kann dabei nach wie vor nicht auf den Ingenieur vor Ort verzichtet werden, doch muss dieser nicht mehr so oft und so lange zum Kunden reisen. In einer global agierenden Branche wie dem Maschinen- und Anlagenbau ist das ein enormer Vorteil. Schließlich nimmt die Inbetriebnahme oft ein Viertel der Gesamtlaufzeit eines Projektes in Anspruch. Soll die Maschine oder Anlage in ein bestehendes System integriert werden, verkürzen sich durch die VIBN zudem die Ausfallzeiten der Anlagen und Maschinen bei der Systemumstellung – ein Vorteil, den Maschinen- und Anlagenbauer bei Preisverhandlungen für sich nutzen können. Gerade kleine und mittlere Unternehmen gewinnen mithilfe der VIBN eine noch höhere Flexibilität und können sich so gegenüber Großbetreiben profilieren.

Zu den großen Vorteilen der virtuellen Inbetriebnahme gehört ferner, dass sie sich auch auf die Umkonfiguration oder das Retrofit von Maschinen und Anlagen anwenden lässt. Notwendige Voraussetzung dafür ist ein digitaler Zwilling, in dem nicht nur der ursprüngliche Entwurf, sondern auch zwischenzeitliche Änderungen dokumentiert sind, wie z. B. der Ersatz eines defekten Sensors durch ein Nachfolgeprodukt und die damit einhergegangene Adaption der Steuerungssoftware. Ergänzungen in einer Anlage oder einer Maschine (z. B. die Integration eines Handling-Roboters) lassen sich so dann virtuell entwerfen und ausprobieren. Die eigentliche Nachrüstung kann dann zeit- und ressourcenschonend umgesetzt werden. Für kleine und mittlere Unternehmen eröffnen sich so mitunter auch neue Geschäftsmodelle.