Hoffmeister-Kraut wurde von einer vielköpfigen Delegation begleitet. Darunter befanden sich hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Verbänden, u. a. die Präsidenten des baden-württembergischen Industrie- und Handelskammertags, des Handwerkstags, des Sparkassen- und des Genossenschaftsverbands. Der gemeinsame Ansatz ist der Ministerin sehr wichtig: „Zu einer aktiven Rolle Baden-Württembergs in Europa gehört es, dass wir unsere Anliegen bei wichtigen EU-Gesetzgebungsprozessen bereits in einem frühen Stadium entsprechend dem Subsidiaritätsgedanken einbringen sowie über Partnerschaften und Netzwerke Verbündete suchen.“ Im Fokus des diesjährigen Gipfels standen die Themen Wirtschaft 4.0, die Zukunft des Automobils und die Sicherung des erfolgreichen baden-württembergischen Mittelstands.
Die EU befände sich im Umbruch, so Hoffmeister-Kraut. Ein starkes Europa heißt aber keineswegs, dass immer mehr Kompetenzen an die EU zentralisiert werden müssten: „Es gibt einiges, das in Brüssel gut aufgehoben ist. Und es gibt vieles, das man besser den Regionen überlässt“, forderte die Ministerin. „Es kommt nicht darauf an, dass die EU viel macht, sondern das Richtige.“ An diesen Prinzipien orientieren sich auch 15 Forderungen an die EU, die Ministerin Hoffmeister-Kraut mit nach Brüssel brachte und mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der EU, u. a. mit Mitgliedern des Europaparlaments und der EU-Kommission, darunter auch der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, diskutierte.
Ministerin Hoffmeister-Kraut richtete die klare Forderung auch an die EU, mit Blick auf die Zukunft des Automobils technologieoffen zu denken: „Niemand kann heute seriös voraussagen, welche Technologie sich am Ende bei den alternativen Antrieben durchsetzen wird. Wir sollten den Erfindergeist unserer Unternehmen daher nicht durch vorschnelle Vorfestlegungen bremsen.“ Zugleich mahnte die Ministerin Augenmaß bei der Regulierung an. Die Ministerin unterstrich in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der wirtschaftsnahen Forschung: „Um in Europa auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, benötigen wir eine Forschungsförderung, die besonders den Technologietransfer vorantreibt und die Innovationskraft gerade auch des Mittelstands unterstützt.“
Weiteres wichtiges Thema war die Digitalisierung, bei der die Ministerin für „mehr Europa“ plädierte: „Die digitale Welt macht nicht vor Staatsgrenzen halt. Mit einer abgestimmten Strategie und vor allem einheitlichen Standards kann die EU hier einen echten Mehrwert schaffen. Wir brauchen einen digitalen Binnenmarkt und eine leistungsfähige digitale Infrastruktur.“ Die EU müsse den richtigen Rahmen schaffen, damit sich solche Infrastrukturen entwickeln könnten.
„Die Briten sagen bei allen offiziellen Stellungnahmen: Wir treten aus der EU aus, aber nicht aus Europa – und wir sollten sie beim Wort nehmen. Die EU muss den Brexit so gestalten, dass möglichst wenig wirtschaftlicher Schaden entsteht – und gleichzeitig der Zusammenhalt der verbliebenen 27 Mitglieder nicht gefährdet wird“, erklärte Hoffmeister-Kraut. „Ziel muss eine neue Form der Partnerschaft sein mit möglichst wenig Handelshemmnissen.“ Nachdem sich die USA von der Rolle eines internationalen Freihandels-Fürsprechers verabschiedet hätte, müsse Europa diese Lücke ausfüllen, so die Ministerin. „Die EU muss beim Thema Freihandel viel stärker als bisher eine Führungsrolle übernehmen.“
Mit dem Brexit und den Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union schlage Europa ein neues Kapitel auf. „Es ist richtig und wichtig, die EU weiterzuentwickeln. Allerdings zielen einige Vorschläge zur sehr auf stärkere Transfers zwischen den Mitgliedsländern – und das ist nicht der richtige Weg. Wir brauchen ein Europa, das seine Stärke aus der Kraft jedes einzelnen Landes zieht – und keines, das durch Verteilungskämpfe gespalten wird“, betonte die Ministerin. Nur wer die richtigen Anreize setze, könne erfolgreich Veränderungen bewirken. „Konditionslose Mitteltransfers tragen dagegen nicht zur Lösung von Strukturproblemen bei“, mahnte Hoffmeister-Kraut.
Der Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, Peter Schneider, lobte die Einrichtung des Wirtschaftsgipfels: „Die Veranstaltung des Wirtschaftsministeriums ist für uns eine gute Plattform, um mit Verantwortlichen aus der Europapolitik und der EU-Kommission in Brüssel zu diskutieren. So bekommen wir einen guten Einblick und gleichzeitig haben wir die Möglichkeit, auf unsere Themen hinzuweisen.“ Aus Sicht der Sparkassen geht es insbesondere um den Erhalt der hohen Sicherheitsstandards für Spareinlagen und eine stärkere Differenzierung bei der Regulierung der Banken und Sparkassen.
„Wir wehren uns dagegen, dass kleine Sparkassen und Volksbanken bei der Regulierung genauso viel Aufwand treiben müssen wie Großbanken“, so Schneider. „Daher sind wir froh, dass der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag, der Handwerkstag und der Genossenschaftsverband gemeinsam mit uns für eine proportionale Ausgestaltung der Regulierung eintreten. Gleichzeitig lehnen wir gemeinsam eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung ab, da die Risiken in den einzelnen Staaten der EU völlig unterschiedlich sind.“
Die vier großen Dachverbände der Wirtschaft in Baden-Württemberg haben sich vereint, um sich zur Zukunft der Kreditversorgung des Mittelstands und zur Zukunft der Digitalisierung zu äußern. Dazu haben die vier Verbände am heutigen Montag in Brüssel ein gemeinsames Positionspapier vorgestellt, in dem sie sich mit konkreten Forderungen an die politisch Verantwortlichen in Brüssel wenden.
Der Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags, Rainer Reichhold, forderte die EU auf, die Chancen der Digitalisierung auch zu nutzen, um die Europäische Integration zu verstärken und bestehende Handelshemmnisse abzubauen. „Das baden-württembergische Handwerk ist so stark exportorientiert wie in keinem anderen Bundesland. Hemmnisse im EU-Binnenmarkt treffen gerade kleine Betriebe in Grenznähe besonders hart. Deshalb muss auch die EU verstärkt darauf hinwirken, Handelshemmnisse im Binnenmarkt zu beseitigen“, so Reichhold. Dies könnte etwa durch die Harmonisierung von Regelungen und Formularen und durch die Bereitstellung zentraler Online-Portale für Unternehmen zur Erfüllung von Melde- und Steuerpflichten geschehen.
Mit Blick auf den Wirtschaftsgipfel betonte Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, die Bedeutung eines gemeinsamen, funktionierenden Europas anhand der Möglichkeiten der Digitalisierung. Ebenso verwies er auf die Gefahren eines harten Brexits: „Die digitale Welt als Zukunft unserer Geschäfts- und Lebensmodelle kennt keine Branchen- wie Ländergrenzen, nationale Abschottungsversuche oder ein Rosinenpicken auf Basis vergangener Pfründe. Per se heißt Wirtschaft 4.0, Beziehungen und Kooperationen in neuen Räumen zu denken – Chancen für globalen Erfolg gerade auch für KMU und innovative Ideen bereitzuhalten. Impulsgeber aus Nordamerika oder Asien zeigen als Vorbild, welche Chancen und Möglichkeiten Europa hat, wenn es hier als gemeinsamer Wirtschafts- und Ideenraum auftritt. Der Gedanke Europas mit seinen vier Grundfreiheiten zeigt doch eine klare wie richtige Linie für diesen Weg, den wir gemeinsam gehen wollen. Ein harter Brexit hieße nicht nur Handelsbeziehungen auf WTO-Niveau und Planungsunsicherheit bei Unternehmen mit einem unserer wichtigsten Handelspartner – es hieße, diese Idee mit Füßen zu treten, ein Rückfall in alte Zeiten, welche im neuen, digitalen Zeitalter keinen Platz mehr hat. Dies müssen wir mit allen Mittel vermeiden.“
„Der Wirtschaftsgipfel gibt uns die Gelegenheit, wichtige baden-württembergische Anliegen zur Sprache zu bringen und damit auch aktiv Europa mitzugestalten“, sagt Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV). Der BWGV vertritt über 800 Genossenschaften aus mehr als 50 verschiedenen Branchen. „Die Zukunft liegt im kooperativen Wirtschaften“, so Glaser, „kleinen und mittleren Unternehmungen helfen Genossenschaften, im heutigen globalisierten und liberalisierten Wirtschaftsumfeld konkurrenzfähig zu bleiben und die vorhandenen Mittel bestmöglich einzusetzen. Die Genossenschaft ermöglicht es ihren Mitgliedern, ihre Ziele aus eigener Kraft und unter Wahrung ihrer Selbstständigkeit zu erreichen. Genossenschaften sind damit auch ein Stück gelebtes Europa: in Vielfalt geeint.“
Glaser betont in Brüssel zudem: „Wer kleine und mittlere Banken stärkt, stärkt den Mittelstand. Schließlich sind die 180 genossenschaftlichen Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen Hauptfinanzierer der kleinen und mittelgroßen Unternehmen bei uns im Land.“ Deshalb fordert er: „Wir brauchen mehr Augenmaß und Differenzierung in der Bankenregulierung. Es ist paradox, dass gerade die kleinen und mittleren Banken so stark unter der hohen Regulierungsdichte zu leiden haben, obwohl sie nicht zu den Verursachern der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise gehörten. Regional tätige Banken dürfen nicht genauso behandelt werden wie international tätige, systemrelevante Institute.“ Eine europäische Einlagensicherung lehnt der Genossenschaftsverband strikt ab. „Niemandem ist es zu vermitteln, warum wir den bewährten nationalen Schutz unserer Ersparnisse gegen eine instabile europäische Sicherungseinrichtung eintauschen sollten“, sagt Glaser.