Wie der Mittelstand spielend seine Wettbewerbsfähigkeit steigern kann

Gamification, auf Deutsch auch oft Gamifzierung genannt, bezieht sich auf das englische Wort „game“ für „Spiel“ und steht wird für ein Vorgehen, bei dem spielerische Mittel und Dynamiken genutzt werden, um Menschen bei der Durchführung einer Aktivität bzw. dem Erreichen eines Ziels zu unterstützen. Die grundlegende Idee von Gamification ist es, den Spaß, den Menschen beim Spielen haben, auf Bereiche zu übertragen, in denen sonst nicht gespielt wird, wie etwa bei der Arbeit oder beim Lernen. Der Begriff taucht zwar erst Anfang des neuen Jahrtausends und mit deutlichen Bezügen zur damals immer populärer werdenden Kultur der E-Games auf, ist aber nicht auf digitale Spiele beschränkt. 

Es ist daher möglich, Gamification in kleineren und mittleren Unternehmen auch dann zu nutzen, wenn dafür nicht extra aufwändige E-Games programmiert werden können oder sollen. Viele Elemente wie die Vergabe von Punkten, Badges oder andere Belohnungen werden in Unternehmen ohnehin häufig schon lange eingesetzt. Bonussysteme für Kundinnen und Kunden wie etwa Vielfliegerprogramme oder die Ausgabe von Sammel-Rabattmarken sind nichts anderes als traditionelle Formen des Gamification-Ansatzes.  

Gamification im Unternehmen nutzen 

Das von Spielen ausgelöste positive emotionale Erlebnis kann mit Gamification-Anwendungen sowohl für unternehmensinterne wie -externe Ziele eingesetzt werden. Vielfach bewährt haben sich Gamification-Elemente bereits bei Schulungen, Fortbildungen, dem Training von Arbeitsabläufen sowie überall dort, wo Teams zusammenfinden oder zusammengeschweißt werden sollen. Da sich mit Spielen Routinen durchbrechen und überdenken lassen, leistet der Gamifizierungsansatz auch bei der Motivationssteigerung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wertvolle Dienste. Gamification wird daher häufig auch in der digitalen Fortbildung für das E-Learning im Unternehmen eingesetzt.  

Die Dynamik von Spielen kann dazu genutzt werden, sich mit Aufgaben, Pflichten und Erfordernissen im Unternehmen anders als gewohnt auseinanderzusetzen. Die eigene Herangehensweise an Unternehmensprozesse kann so reflektiert und im nächsten Schritt verbessert werden. Typische Beispiele dafür sind etwa spielerische Schulungen in Fragen der IT-Sicherheit (Security Awareness) oder das Management von Change-Prozessen im Unternehmen, indem Veränderungen zunächst spielerisch vermittelt und erprobt werden. 

Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet für Gamifizierung ist das Personalwesen. Um sich beim Recruitment von Wettbewerbern abzuheben, können Unternehmen beispielsweise auf „Recruitainment“ setzen. Durch ein unterhaltsames Quiz oder einen Test auf der Homepage des Unternehmens lassen sich so schon im ersten Schritt geeignete von nicht geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern unterschieden. Zugleich wird ein Anreiz zur Bewerbung für diejenigen gesetzt, deren Kenntnisse und Einstellungen sehr gut zum Unternehmen passen. Auch bei der Bindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Retention-Management leistet Gamification wertvolle Dienste – im einfachsten Fall etwa, indem durch Rankings oder Belohnungen (jenseits von Gehalt und Boni) spielerisch Erfolge von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Unternehmen gewürdigt werden.  

Gamification als Marketinginstrument  

Wer es schafft, Interessentinnen und Interessenten in ein Spiel zu verwickeln, hat bereits ein Ziel erreicht, das für Werbe- und Marketingmaßnahmen die größte Herausforderung ist: Die Aufmerksamkeit der Zielgruppe gewinnen. Durch die Interaktion im Spiel ist diese Aufmerksamkeit zudem besonders hoch und je nach Art des Spiels auch von längerer Dauer. Die dabei vermittelten Botschaften werden im Idealfall mit der positiven Erfahrung des Spiels verbunden. So brachte beispielsweise das spanische Finanzinstitut Banco Bilbao VA Kundinnen und Kunden mit einem Onlinespiel dazu, die Funktionen des Onlinebankings zu entdecken und künftig auch zu nutzen. Großes Potenzial für Gamification im Marketing steckt auch in der Nutzung von Augmented- (AR) und Virtural-Reality-(VR)-Technologien. Mithilfe von VR-Brillen oder AR-Elementen, die sich auf Smartphones abrufen lassen, können Kundinnen und Kunden virtuell und spielerisch Produkte entdecken und individuell ausprobieren – und das sowohl online als auch vor Ort im Geschäft. 

Serious Games – Gamification ernster Angelegenheiten 

Der Spaß, den Spiele machen, erleichtert Spielerinnen und Spielern, sich mit einem Thema zu beschäftigen und auseinanderzusetzen, mit dem sie sich nicht freiwillig oder nur ungern beschäftigen. Zu den Stärken von Spielen zählt, dass sie in einen Flow ziehen und eine Bewusstseins-Haltung schaffen, in der alles andere und damit auch mögliche Vorbehalte aus dem Blick geraten. Diese Leichtigkeit kann auch für die Auseinandersetzung mit ernsten Anliegen und womöglich ungeliebten Themen genutzt werden. Steht die Beschäftigung mit „ernsten“ Themen im Vordergrund, wird statt von Gamification-Anwendungen oft auch von sogenannten „Serious Games“ gesprochen. Serious Games sind kategorisch dabei Gamification-Anwendungen zuzuordnen.  

Im Gesundheits- und Life-Science-Sektor spielen solche Serious Games eine zunehmend größere Rolle. Sie werden beispielsweise in der Therapie oder Rehabilitation von Krebspatientinnen und -patienten eingesetzt, die zu Sport- und Bewegungsübungen motiviert bzw. animiert werden sollen. Häufig werden dabei bereits im Alltag der Menschen angekommene Technologien wie Smartphone oder Wearables als „Enabler“ für die Serious Games genutzt. Vorteil: Gamification kann mithilfe dieser Technologien auch in den individuellen Alltag integriert werden. Das Prinzip lässt sich gut auf Unternehmen übertragen, etwa indem z. B. das Thema Gesundheit und Fitness in Form einer Lauf-Challenge in den Fokus gerückt wird und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Lauf-Kilometer für einen guten Zweck oder eine Belohnung sammeln.  

Wie funktioniert Gamification?

Es gibt mittlerweile zahlreiche Untersuchungen und Belege dafür, dass sich Menschen durch Gamification-Angebote dazu bewegen lassen, aus ihren „Komfort-Zonen“ herauszutreten und sich mit Lösungen zu beschäftigen, denen sie bislang reserviert oder gleichgültig gegenüberstehen. Gamification funktioniert dabei allerdings nie unter Zwang. Daher ist die Gamifizierung auch kein Allheilmittel, mit dem sich Menschen in eine wie auch immer gewünschte Richtung drängen bzw. manipulieren lassen. Wenn Spielerinnen und Spieler sich in einem Spiel ins Zeug legen, um etwa die IT-Sicherheit zu stärken, bedeutet das nicht, dass sie das automatisch auch in der Wirklichkeit tun. Sind Menschen von einem Spiel begeistert, werden lassen sich damit jedoch in der Regel Lerneffekte erzielen, die dann auch in den Alltag eingebracht werden. 

Spiele lenken den Blick auf menschliche Antriebe

Das gelingt umso besser, je mehr die Motivation zur Spielbeschäftigung nicht von extrinsischen Zielen (Fremdmotivation) wie etwa Belohnung durch Punkte und Boni abhängt, sondern intrinsisch motiviert ist (Eigenmotivation), also einem inneren Bedürfnis folgt, Spielziele zu erreichen. Der taiwanesisch-amerikanische Unternehmensberater Yu-kai Chou, der als einer der einflussreichsten Gamification-Pioniere weltweit gilt und Kunden wie Microsoft, Lego oder Volkswagen berät, hat die wichtigsten Antriebe zusammengetragen, die es Menschen erleichtern, sich für Handlungen und Aufgaben zu motivieren. Im seinem Octalysis Framework für Gamification und Verhaltensdesign sind die zentrale Antriebe („Core Drives“) von Menschen, etwas zu tun: 

  • Das Gefühl, eine Entwicklung und Leistungssteigerung zu erleben. Bei Spielen etwa erlebbar gemacht durch Abzeichen, Punkte, Bestenlisten, Trophäen etc. 

  • Das Gefühl, etwas zu kontrollieren, in Besitz zu haben und den Besitz durch das eigene Handeln zu verbessern und zu vermehren (das klassische Briefmarkensammeln, aber auch die Ausgestaltung eines virtuellen Profils oder Avatars triggern dieses Gefühl). 

  • Das Gefühl, eine einmalige oder sich nur kurzfristig bietende Chance zu nutzen. In Spielen wird dieses Gefühl häufig angesprochen durch künstliche Verknappung („nur noch 1 Stunde“) oder auch der Exklusivität („nur für Sie“). 

Diesen Fremdmotivationen stehen drei Eigenmotivationen gegenüber: 

  • Das Gefühl der Ermächtigung. Im Spiel ist beispielsweise Kreativität gefordert und muss auch konkret umgesetzt werden. Zugleich ermöglicht das Spiel Feedback zur kreativen Leistung, etwa durch andere Mitspielerinnen und Mitspieler. Typische Spielelemente dafür sind Mal- und Bastelutensilien sowie Legosteine. 

  • Das Gefühl, dass die eigenen Handlungen eine soziale Bedeutung haben. In Spielen wird dieses Gefühl häufig durch Wettbewerb, Kameradschaft, Neid und Respekt (auf den Erfolg anderer) hervorgerufen. Dieser Antrieb spielt gerade in den Sozialen Medien eine wichtige Rolle. Es ist für Menschen von Bedeutung, sich zu etwas zu bekennen, zu einer Marke, zu einem Stil, zu Haltungen, Menschen oder auch zu Unternehmen.  

  • Das Gefühl, etwas Unerwartetes und Neues zu erleben, wenn man sich auf eine Handlung bzw. ein Spiel einlässt. Dieser Antrieb sorgt etwa dafür, dass Menschen sich an Gewinnspielen oder Lotterien beteiligen. Eine Gefahr des Antriebs liegt darin, Menschen zur Spielsucht zu verleiten. Gespielt wird dann nicht mehr, um eine Belohnung zu erhalten, sondern um das Gefühl des Unerwarteten, der Überraschung immer wieder neu erleben zu können. 

Zu diesen Eigen- und Fremdmotivationen kommen noch zwei weitere Antriebe mit universellem Charakter hinzu: 

  • Das positive Gefühl, eine wichtige Aufgabe anvertraut zu bekommen, „berufen“ zu sein, etwas zu tun, das nicht nur für einen selbst, sondern für eine Gemeinschaft oder sogar die Menschheit wichtig ist. 

  • Das negative Gefühl, etwas tun bzw. weiterhin tun zu müssen, um Erreichtes nicht zu verlieren und negative Konsequenzen durch Nichthandeln abzuwehren.  

Human-Centered Design

Das Octalysis Framework von Yu-kai Chou führt das Funktionieren von Spielmechanismen und damit von Gamification darauf zurück, dass durch Spiele Grundbedürfnisse des Menschen angesprochen und ausgelebt bzw. erprobt werden können. Für Yu-kai Chou ist Gamification daher nichts anderes als ein Human Centered („menschenzentriertes“) Design. Beim Design und Management von Systemen, an denen Menschen beteiligt sind, ist bei diesem Ansatz immer von den Bedürfnissen und Antrieben von Menschen auszugehen. Gamification bietet sich dabei als Möglichkeit an, Menschen bei der Konzeption, Entwicklung und Umsetzung der Lösung miteinzubeziehen, sodass ein System entsteht, das Menschen auch entspricht. Im Idealfall gelingt es, dass sich Menschen durch Gamification nicht mehr verpflichtet fühlen, eine Handlung durchzuführen, sondern diese Handlung auch selbst durchführen wollen.  

Kein Allheilmittel: Gamification hängt vom Umfeld und den Nutzenden ab

Unternehmen, die Gamification für sich nutzen wollen, sollten immer dabei stets bedenken, dass Spiele kein universelles Mittel sind, das überall eingesetzt werden kann. Eine unabdingbare Voraussetzung für funktionierende Gamification-Anwendungen ist, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf das Spielangebot auch einlassen wollen. Die Sinnhaftigkeit eines Spiels lässt sich niemandem aufzwingen. Hinzukommt, dass Spielmechaniken wie Punktesysteme, Ranglisten und das Erreichen von Levels individuell meist unterschiedliche Anreize bieten. Während manche Spielerinnen und Spieler bei einem Ranking beispielsweise immer ganz oben stehen möchten, genügt es anderen, einfach in der Liste aufzutauchen, während wiederum andere, sich von Ranglisten überhaupt nicht motivieren lassen.  

Wer auf Eigenmotivationen wie das Gefühl der Ermächtigung oder des Erlebens von Unerwartetem setzt, sollte beachten, dass diese Motivationserleichterungen mit der Zeit oft abnehmen. So wurde beispielsweise auch die berühmte Stockholmer „Piano-Treppe“ nach einiger Zeit wieder entfernt. Passantinnen und Passanten einer U-Bahn-Station konnten auf dieser Treppe Musik machen, indem sie bestimmte Stufen der Treppen nahmen oder ausließen. Die Aktion erreichte das Ziel, Menschen dazu zu bewegen, die Treppe statt die Rolltreppe zu nehmen und sich so mehr zu bewegen. Die Nutzung der „Piano-Treppe“ nahm mit der Zeit jedoch wieder ab. Die Neugierde und das Erleben von etwas Unerwartetem waren offenbar wieder der Routine gewichen.  

Fazit: Gamification kann die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöhen

Gamification lässt sich in allen Branchen sowie Unternehmen jeder Größe einsetzen. Die Stärke des Konzepts liegt darin, Prozesse auf menschliche Bedürfnisse und Antriebe abzustimmen und so zu optimieren. Laut einer Umfrage von game, dem Verband der deutschen Games-Branche, sind 56 Prozent der Deutschen davon überzeugt, dass das Potenzial von Spielen wie etwa umweltschädliches Verhalten aufzuzeigen oder zu gesünderem Verhalten zu animieren noch nicht ausreichend genutzt wird

© game 2021

Die Unternehmensberatung Kearney hat in einer Studie errechnet, dass durch Gamification-Projekte die Arbeitszufriedenheit um bis zu 24 Prozent und die Mitarbeitermotivation um bis zu 33 Prozent steigern kann. Bei der anstehenden technischen Transformation der Automobilindustrie von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf Elektromobile wären damit Kosteneinsparungen von bis zu 6,5 Milliarden Euro in fünf Jahren denkbar.  

Der Einsatz von Gamification-Elementen im Unternehmen ist allerdings nicht zum Null-Tarif zu verwirklichen. Richtig umgesetzt, erfordern auch Gamification-Anwendungen Investitionen in die Planung, Gestaltung und Integration der Anwendung in die Unternehmensabläufe. Wie bei allen Innovationen bietet es sich an, für den Einstieg Experten von außen zu Rate zu ziehen. Eine Anleitung zur Entwicklung von Gamification-Anwendungen bietet aber auch der „Leitfaden: Der Gamifaction-Effekt“ des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Hamburg.