Zwischen fliegenden Astronauten im All und sensorgesteuerten Baggern kann der Begriff des Metaverse (MV) vieles umfassen. Die Technologie erlebte vor einigen Jahren mit dem presseträchtigen Engagement großer US-Tech-Unternehmen einen Boom. Mittlerweile ist die erste Welle der Euphorie vorüber und es wird deutlicher, wie Unternehmen gerade im Mittelstand profitieren können. Dieser Beitrag soll einen Überblick geben, was unter dem Konzept des MV verstanden werden kann, wo die Ursprünge liegen und welche Anwendungsmöglichkeiten bestehen.
Die Entstehungsgeschichte des MV
Das MV ist das Ergebnis einer Kombination aus technologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die sich über mehrere Jahrzehnten hinweg vollzogen haben. Der eigentlichen Umsetzung gingen frühe Szenarien aus der Science Fiction Welt voraus. Als einer der Ersten beschrieb Neal Stephenson in seinem Roman "Snow Crash" (1992) die Idee eines digitales Universums, das über eine virtuelle Realität zugänglich ist und in dem Nutzer als Avatare interagieren. Die Umsetzung dieser virtuellen Welten wurde schließlich durch die technologischen Entwicklungen in den Bereichen Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) ermöglicht. Schon in den 1990er Jahren gab es erste VR-Technologien, die dann mit der zunehmenden Rechenleistung und den Fortschritten in der Display-Technologie in den 2000er Jahren optimiert wurden. Diese Technologien fanden sich dann verstärkt in der Welt des Online Gamings wieder. Erste Multiplayer-Games wie World of Warcraft (2004) oder Second Life (2003) stehen für diese Phase. Hier ging es bereits darum, dass Spieler neben dem reinen Spiel bzw. Meistern von Herausforderungen auch im virtuellen Raum sozialen Aktivitäten des „normalen“ Lebens nachgehen (z.B. Konzertbesuche, Shopping). Schließlich brachten Fortschritte im Cloud-Computing und 5G Internet einen entscheidenden Durchbruch, der es ermöglicht, das MV in Echtzeit auf vielen Rechnern gleichzeitig zugänglich zu machen. Neben diesen vielfältigen Entwicklungen verhalf schließlich auch der gestiegene Bedarf an virtueller Interaktion durch die COVID-19-Pandemie der Technologie zu mehr Verbreitung.
Das industrielle Metaverse (IMV)
Das MV war durchweg das Ergebnis der Bemühungen großer Technologieunternehmen. 2021 kündigte Facebook an, seinen Namen in Meta zu ändern, um sein Engagement für die Entwicklung des Metaverse zu unterstreichen. Auch andere Unternehmen wie Microsoft, Google, Apple und Epic Games investieren intensiv in die Entwicklung von Technologien, die das Metaverse ermöglichen konnten. Dabei verschwimmen die Grenzen der unterschiedlichen Anwendungsbereiche immer mehr. Unter dem IMV versteht man die Anwendung von MV-Technologien in industriellen und geschäftlichen Kontexten. Hier geht es weniger um soziale Netzwerke und Unterhaltung. Ziel ist es vielmehr, Unternehmen und Industrien digitale Zwillinge, erweiterte Simulationen und kollaborative Plattformen zu bieten, um ihre Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu optimieren. Dabei stehen die folgenden Anwendungsbereiche im Vordergrund:
- Digitale Zwillinge: Damit gemeint sind digitale Replikate von physischen Objekten, Anlagen oder ganzen Produktionsstätten. Diese digitalen Modelle ermöglichen es Unternehmen, in Echtzeit Einblick in den Zustand und die Leistung ihrer physischen Systeme zu erhalten. Sie können auf diese Weise Wartungsbedarfe vorhersagen, Prozesse optimieren und Fehler frühzeitig erkennen.
- Simulations- und Trainingsumgebungen: Das IMV bietet Unternehmen die Möglichkeit, Simulationen durchzuführen, die reale Bedingungen und Szenarien nachbilden. Das ist besonders wichtig in komplexen Bereichen wie der Fertigung, Luftfahrt, Automobilindustrie oder im Maschinenbau. Hier können neue Produkte getestet, Produktionsprozesse simuliert oder Mitarbeiterschulungen in einer risikofreien Umgebung durchgeführt werden.
- Zusammenarbeit in virtuellen Räumen: Durch die Nutzung von VR und AR können Unternehmen die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Teams über große geografische Entfernungen hinweg verbessern. Ingenieure, Designer, Techniker und Manager können in einem gemeinsamen virtuellen Raum arbeiten, um Probleme zu lösen, Produkte zu entwickeln oder Fertigungsprozesse zu überwachen.
- Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI): Das IMV integriert meist KI und Maschinelles Lernen zur Optimierung von Prozessen und Entscheidungsfindung. KI kann in virtuellen Umgebungen eingesetzt werden, um Entscheidungen zu treffen, Vorhersagen zu machen oder selbstlernende Systeme zu entwickeln und die Effizienz zu steigern.
- Integration von Internet of Things (IoT): Im IMV sind auch IoT-Geräte von zentraler Bedeutung. Diese vernetzten Geräte liefern kontinuierlich Daten, die dann in den digitalen Zwillingen und Simulationen verarbeitet werden. Dadurch können Unternehmen in Echtzeit auf Änderungen oder Störungen reagieren und proaktive Maßnahmen ergreifen.
Anwendungsbeispiel: Synergien zwischen Prozessoptimierung, Gaming und Marketing
Zu Beginn der wirtschaftlichen Nutzung des IMV abseits der Gaming- und Entertainment-Welt spielten die vielfältigen Chancen der Technologie gerade im Bereich des Marketings eine entscheidende Rolle (z.B. virtuelle Online-Shops). Mittlerweile zerfließen die Grenzen immer mehr, so dass Potenziale aus dem einen Bereich auch für den anderen genutzt werden können. Ein Beispiel ist hier die Entwicklung eines MV für ein großes Messehallen-Unternehmen. Ein digitaler Zwilling, der die Messehallen samt aller gebäudetechnischer Feinheiten und damit auch Arbeitsbereichen abbildet, ermöglicht es, dass Mitarbeitende unterschiedlicher Service-Unternehmen virtuell geschult werden, Sicherheitsmaßnahmen erprobt werden können und Notsituationen simuliert. Darin spielt Gaming eine zentrale Rolle, um die Interaktion realitätsnah abzubilden, Kommunikationsprozesse zu ermöglichen und unterschiedliche Szenarien zu simulieren. Gleichzeitig kann die virtuelle Umgebung, die ohnehin für die Schulungs- und Prozessoptimierungszwecke entwickelt wurde, auch zur Vermarktung der Hallen gegenüber Kunden und Besuchern verwendet werden. Diese Synergie zeigt auf, dass die Grenzen zwischen Prozessoptimierung und Gamification verschwimmen und das IMV immanent unterschiedliche Facetten der MV-Technologie in sich vereint, die dem Schwarz-Weiß-Denken zwischen Entertainment auf der einen und Industrie auf der anderen Seite entgegenwirken.
Fazit und Ausblick
Das IMV ist eine transformative Plattform, die die Art und Weise, wie Unternehmen arbeiten, revolutionieren kann. Durch den Einsatz von digitalen Zwillingen, VR/AR, KI und IoT können Unternehmen ihre Prozesse optimieren, Risiken minimieren und Innovationen schneller vorantreiben. Es ist eine digitale Erweiterung der physischen Welt, die insbesondere in der Fertigung, Wartung, Produktentwicklung und Lieferkettenmanagement ein großes Potenzial bietet. Demgegenüber stehen weiterhin Hürden und Bedarfe. An erster Stelle steht der Informationsbedarf der Unternehmen, die sich mit der Technologie vertraut machen müssen, um zu entscheiden, welche Form der Ausgestaltung ihnen zu Wettbewerbsvorteilen verhilft. Darüber hinaus ist der Finanzierungsbedarf nicht unerheblich. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Use Cases, die transparent machen können, welche IMV Projekte für welches Unternehmen sinnvoll sind. Doch hier bedarf es weiterhin der klaren Kommunikation und Sichtbarkeit der Mehrwerte. Des Weiteren spielen ethische Bedenken und Unsicherheiten im Umgang mit Technologien, die verstärkt auf KI setzen, eine wichtige Rolle. Gerade letztere können und dürfen nicht allein durch wirtschaftliche Argumente entkräftet oder bestätigt werden. Es bedarf weiterhin eines gesellschaftlichen und damit auch politischen Dialogs über die Grenzen künstlicher Intelligenz und der Rolle menschlicher und würdevoller Arbeitskraft in unterschiedlichen Industrien.