Das weltweit führende Forschungs- und Innovationszentrum für Nanoelektronik und digitale Technologien, imec, hat gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg auf der Hannover Messe die Gründung des Advanced Chip Design Accelerators (ACDA) angekündigt. Das neue imec-Kompetenzzentrum in Baden-Württemberg wird im Rahmen des imec Automotive Chiplet Program (ACP) modernste Technologien in den Bereichen Chiplets, Packaging, Systemintegration, Sensorik und (Edge-)Künstliche Intelligenz entwickeln. Doch was genau heißt das für den Mittelstand im Land?
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Das imec (Interuniversity Microelectronics Centre) ist eines der weltweit führenden Forschungs- und Innovationszentren im Bereich der Nanoelektronik, Mikrochiptechnologien und digitalen Systeme. Gegründet 1984 in Leuven, Belgien, arbeitet imec heute mit über 600 Industriepartnern und wissenschaftlichen Einrichtungen weltweit zusammen, darunter große Technologieunternehmen wie Intel, ASML, TSMC, Samsung, Bosch und Infineon. Ziel des Instituts ist es, die Lücke zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung zu schließen. Es entwickelt neue Halbleiter-, Sensor- und Systemtechnologien und überführt diese gemeinsam mit Partnern in marktreife Lösungen. Im Zentrum steht dabei die Vision, immer kleinere, leistungsfähigere, energieeffizientere und intelligentere Chips zu schaffen, die in nahezu allen Zukunftsbranchen – von Künstlicher Intelligenz und Mobilität über Energie bis hin zur Medizintechnik – eingesetzt werden können.
Zu den wichtigsten Forschungsfeldern von imec zählen die Halbleiter- und Nanoelektronik, wo an der nächsten Generation von Chips jenseits klassischer Siliziumtechnologien gearbeitet wird. Die Forschenden entwickeln Transistoren der 2-Nanometer-Klasse, 3D-Integrationsmethoden und neuartige Materialien, um die Rechenleistung zu steigern und den Energieverbrauch zu senken. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf sogenannten Chiplets, modularen Bausteinen, die zu komplexen Systemen kombiniert werden können. Diese Technologie ermöglicht maßgeschneiderte, skalierbare und kosteneffiziente Chips, insbesondere für Anwendungen in der Automobilindustrie und in KI-Systemen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das neue imec-Kompetenzzentrum in Heilbronn, der Advanced Chip Design Accelerator (ACDA), das sich auf Automotive-Chiplets und Systemintegration spezialisiert. Weitere Forschungsfelder sind Sensorik und Photonik, zum Beispiel bei der Anwendung im Gesundheitsbereich. Auch Nachhaltigkeit und die Entwicklung eines umweltverträglichen „Green Chips“ spielen eine wachsende Rolle.
Mit dem neuen Kompetenzzentrum in Heilbronn baut imec seine internationale Präsenz weiter aus und stärkt zugleich die Position Baden-Württembergs als führende Region für Mikroelektronik und Fahrzeugtechnologie. Der Standort soll in enger Zusammenarbeit mit Automobilherstellern, Zulieferern und Forschungseinrichtungen neue Wege für die Entwicklung von Chiplets, Sensoren und KI-Systemen im Fahrzeugsektor eröffnen.
Was genau können Chiplets?
Chiplets sind modulare Bausteine eines Mikrochips, die jeweils eine klar abgegrenzte Funktion erfüllen – etwa Rechenlogik, Speicher, Signalverarbeitung oder Sensorsteuerung.
Im Gegensatz zu einem klassischen monolithischen Chip, bei dem alle Funktionen auf einem einzigen Stück Silizium integriert sind, werden bei Chiplet-Systemen mehrere spezialisierte Teilchips miteinander kombiniert.
Diese Chiplets sind über standardisierte Hochgeschwindigkeits-Schnittstellen – etwa den offenen Standard UCIe (Universal Chiplet Interconnect Express) – miteinander verbunden.
Das Ergebnis ist ein sogenanntes Multi-Chip-Modul oder „System-in-Package“, bei dem die einzelnen Chiplets wie Bausteine in einem 3D-Puzzle zusammenspielen.
Der große Vorteil dieser Architektur liegt in ihrer Flexibilität und Effizienz:
Statt jedes Mal einen völlig neuen, großen Chip zu entwerfen, können Unternehmen bestehende Chiplets wiederverwenden, anpassen oder neu kombinieren, um maßgeschneiderte Lösungen für verschiedene Produkte zu entwickeln. Dadurch sinken die Entwicklungskosten, die Markteinführungszeit verkürzt sich, und spezialisierte Anwendungen – etwa für Automotive, Robotik, Medizintechnik oder Industrie 4.0 – lassen sich schneller und nachhaltiger realisieren.
Technologisch ermöglicht der Ansatz außerdem, unterschiedliche Fertigungsprozesse und Materialien in einem System zu vereinen: Ein Rechen-Chiplet kann beispielsweise in einer hochmodernen 3-Nanometer-Technologie gefertigt sein, während ein analoges oder Sensor-Chiplet in einem älteren, kostengünstigeren Prozess hergestellt wird. So entsteht eine leistungsfähige, modulare und skalierbare Chiparchitektur, die sich an spezifische Anforderungen anpassen lässt – ähnlich wie Software aus Modulen aufgebaut ist.
Anwendungsfelder von neuen Chip-Technologien
Auch wenn die Automobilindustrie ein wesentlicher Fokus für die Entwicklung von Chiplets ist, so ist die Technologie für zahlreiche weitere Anwendungsfelder mit viel Potenzial verbunden. Zu den wichtigsten zählen:
Industrie 4.0 und Maschinenbau
Baden-Württemberg ist eine der führenden Maschinenbau-Regionen Europas. Forschung an intelligenten Sensorsystemen, energieeffizienten Chips und Edge-KI kann hier direkt eingesetzt werden – etwa in vorausschauender Wartung, Robotik, Fertigungsautomatisierung und digitaler Qualitätskontrolle. Mit robusten, lokal vernetzten Chipsystemen lassen sich Maschinen intelligenter, autonomer und verlässlicher machen, ohne dass Daten ständig in die Cloud übertragen werden müssen.Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit
In Bereichen wie Smart Grids, Energiemanagement und nachhaltige Produktion bietet imec Know-how für leistungsfähige Sensorik und Energiemonitoring-Systeme.
Nanoelektronische Komponenten und KI-gestützte Steuerungssysteme ermöglichen es, Energieflüsse präzise zu messen, Verluste zu reduzieren und erneuerbare Energien effizienter zu integrieren. Auch im Bereich der Batterieforschung – ein zentrales Thema für Elektromobilität, Energiespeicher und Netzinfrastruktur – wird aktuell an neuen Materialien und nanoskaligen Fertigungstechniken gearbeitet, die Zellleistung und Lebensdauer verbessern.Gesundheit, Medizintechnik und Biotechnologie
Mit Zentren wie Tübingen, Mannheim und Heidelberg ist Baden-Württemberg ein Hotspot der medizinischen Forschung und Biotechnologie. Entwicklungen in bioelektronischen Sensoren, Lab-on-a-Chip-Systemen und tragbarer Diagnostik können große Wirkung entfalten. Solche Technologien ermöglichen z. B. kontinuierliche Gesundheitsüberwachung, molekulare Diagnostik und personalisierte Medizin – Schlüsselthemen in einer alternden Gesellschaft und für eine zukunftsfähige Gesundheitswirtschaft.Mobilität der Zukunft (über den Pkw hinaus)
Abseits des klassischen Automobils lassen sich neue Chip-Technologien auch auf Luftfahrt, Schienenverkehr und urbane Mobilitätssysteme übertragen. Dort werden vernetzte Sensoren, energieeffiziente Steuerchips und KI-basierte Sicherheitsmechanismen benötigt, um autonome, sichere und nachhaltige Verkehrslösungen zu ermöglichen.Künstliche Intelligenz, Datenverarbeitung und Mikroelektronik
KI-Forschung und Datenökonomie profitieren ebenfalls. Spezialisierte Chips für KI-Berechnungen, die Daten dezentral und sicher verarbeiten – sind entscheidend für Bereiche wie Datenschutz, Cloud-unabhängige Anwendungen und Industrie-KI. Damit können Unternehmen eigene, souveräne Hardwarelösungen entwickeln, anstatt auf außereuropäische Prozessoren angewiesen zu sein.- Smart Cities und Infrastruktur
Hierzu zählen insbesondere energieautarke Sensoren, die Verkehrsflüsse, Luftqualität oder Energieverbrauch in Echtzeit messen und optimieren können. Solche Systeme sind relevant für nachhaltige Stadtplanung, Umweltschutz und Mobilitätsmanagement.
Wie Unternehmen aktiv von Chiplets profitieren können
Damit Unternehmen Chiplet-Technologien wirklich nutzen können – sei es im Automotive-Bereich oder in anderen industriellen Feldern – braucht es strategische, technologische und partnerschaftliche Schritte.
1. Technologieverständnis und Designkompetenz aufbauen
Unternehmen sollten ein tiefes Verständnis für die Architekturprinzipien und Design-Tools von Chiplet-Systemen entwickeln. Dazu gehören Kenntnisse über Interconnect-Standards wie UCIe, Packaging-Methoden (z. B. 2.5D- oder 3D-Integration) und Designsoftware für modulare Systeme. Diese Kompetenzen lassen sich über Schulungen, Kooperationen mit imec oder anderen Forschungseinrichtungen sowie über Pilotprojekte gezielt aufbauen.
2. Anwendungsszenarien identifizieren
Der Einstieg gelingt am besten, wenn Unternehmen konkrete Einsatzfelder definieren, in denen Chiplets einen klaren Mehrwert schaffen, etwa: KI-Beschleunigung und Datenverarbeitung am Rand des Netzwerks (Edge Computing), hochintegrierte Sensorsysteme für Maschinen, Fahrzeuge oder medizinische Geräte, Steuerungssysteme mit geringem Energieverbrauch oder sichere, modulare Elektronikarchitekturen für Industrieanlagen. So kann gezielt untersucht werden, welche Kombination aus Chiplets den größten Nutzen bietet.
3. Forschungs- und Entwicklungspartnerschaften eingehen
Da Chiplet-Designs hochkomplex sind, profitieren Unternehmen stark von Kooperationen.
In Baden-Württemberg bietet sich besonders die Zusammenarbeit mit dem imec-Kompetenzzentrum in Heilbronn (ACDA) an, das sich auf Automotive-Chiplets, Sensorintegration und Edge-KI spezialisiert hat. Auch Partnerschaften mit Fraunhofer-Instituten, Hochschulen oder dem Cyber Valley können helfen, neueste Erkenntnisse aus der Forschung frühzeitig in eigene Produktentwicklungen zu überführen.
4. Packaging- und Testkompetenzen ausbauen
Der eigentliche Innovationshebel bei Chiplets liegt im Packaging, also in der Art, wie einzelne Bausteine physisch miteinander verbunden werden. Unternehmen, die in fortgeschrittene Packaging-Verfahren investieren – etwa Interposer-Technologien, Through-Silicon-Vias (TSVs) oder thermisch effiziente Verbindungen – sichern sich einen technologischen Vorsprung. Gerade in der Sensorik, im Maschinenbau und in der Leistungselektronik kann diese Kompetenz künftig entscheidend sein.
5. Teil des entstehenden Chiplet-Ökosystems werden
Die Chiplet-Revolution ist kein isoliertes Phänomen – sie basiert auf einem globalen, offenen Ökosystem. Unternehmen können sich durch Mitgliedschaften und aktive Beiträge in Standardisierungsgremien und Allianzen wie UCIe, BOWI oder IPCEI Mikroelektronik frühzeitig positionieren. Dadurch erhalten sie Zugang zu Entwicklungsplattformen, Referenzdesigns und Lieferketten, die sonst nur Großkonzernen vorbehalten sind.
6. Neue Geschäftsmodelle denken
Chiplets eröffnen auch ökonomisch neue Perspektiven. Anstatt komplette Chips zu fertigen, können Unternehmen eigene spezialisierte Chiplets oder IP-Bausteine entwickeln und diese an andere Anbieter lizenzieren oder in größere Systeme einbringen. So entstehen neue Wertschöpfungsmodelle, insbesondere für mittelständische Unternehmen, die über einzigartige Kompetenzen in Sensorik, Leistungselektronik oder Embedded Systems verfügen.
7. Förderprogramme und Innovationsnetzwerke nutzen
Bund, Land und EU fördern aktiv Projekte im Bereich Halbleiter, Mikroelektronik und Chipdesign. Programme wie IPCEI Mikroelektronik II, der InnovationsCampus Mobilität der Zukunft (ICM) oder der KI-Innovationspark Heilbronn (IPAI) bieten Zugang zu Fördermitteln, Forschungskonsortien und Technologieinfrastrukturen. Wer hier früh mitmacht, profitiert nicht nur finanziell, sondern wird Teil der europäischen Mikroelektronik-Strategie, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit sichert.
Ausblick
Chiplets markieren den Übergang von klassischen, monolithischen Halbleitern zu modularen, anpassbaren und nachhaltigen Systemarchitekturen. Für Unternehmen in Baden-Württemberg bedeutet das: Wer früh in Know-how, Kooperationen und Pilotprojekte investiert, kann von dieser Entwicklung in mehrfacher Hinsicht profitieren – technologisch, wirtschaftlich und strategisch. Ob im Maschinenbau, in der Sensorik, der Energiebranche, der Medizintechnik oder der Industrieautomatisierung – Chiplets schaffen die Basis für die nächste Generation intelligenter, effizienter und vernetzter Systeme, und damit für die industrielle Zukunft des Landes.


