Die Arbeitswelt im Besonderen und das Leben im Allgemeinen werden immer komplexer. Die sozial-, wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Disziplinen beschäftigen sich in zahlreichen Publikationen mit dem Phänomen, dass die Welt im 21. Jahrhundert durch Entwicklungen wie Globalisierung und Digitalisierung für den einzelnen Menschen immer schwerer zu durchschauen, anspruchsvoller und herausfordernder geworden ist. Beschrieben wird dieses Phänomen mit dem von einer amerikanischen Militärschule stammenden Begriff „VUCA“. Die Abkürzung steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity. Übersetzt kennzeichnen diese Begriffe eine Lebens- und Arbeitswelt, welche geprägt ist von Volatilität (Schwankung, Flüchtigkeit), Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. In der VUCA-Welt sind Veränderungen die Regel und prägen den Alltag. Das Tempo dieses permanenten Wandels nimmt dabei stetig zu. 

Die Frage ist, wie mit der Komplexität und dem stetigen Wandel umzugehen ist. Wenn ein Zurück in frühere Zeiten beziehungsweise ein Aufhalten der Entwicklungen keine Option ist, dann gilt es, die Veränderungen aktiv mit neuen Ideen und Lösungen zu gestalten. Genau hierfür bietet Design Thinking einen vielversprechenden Ansatz. Doch was ist darunter zu verstehen? Wie funktioniert dieser Ansatz und welche Vorteile bringt er? 

  

Was ist Design Thinking? 

Der zusammengesetzte Begriff Design Thinking stammt aus dem englischen und bezieht sich auf die gestaltende, kreierende beziehungsweise entwickelnde Facette des Wortes design. Frei übersetzt meint Design Thinking, dass man sich die Denkweise und innere Grundhaltung beispielsweise von Erfinder:innen und anderen Kreativen zu eigen macht. Erstmals wurde der Begriff in den 1980er Jahren an der Universität Stanford erwähnt. Das heutige Verständnis wurde von den drei Professoren David Kelley, Terry Winograd und Larry Leifer geprägt, welche 2003 in Stanford die d.school gründeten und dabei durch den SAP-Gründer Hasso Plattner unterstützt wurden. In Deutschland gründete Hasso Plattner 2007 in Potsdam die HPI School of Design Thinking (HPI D-School) nach dem Vorbild der Stanford d.school.  

Nach dem heutigen Verständnis ist Design Thinking ein Mindset für kreative Innovationsprozesse. Es ermöglicht interdisziplinären Teams nutzer- bzw. kundenorientierte Ideen und Lösungen für Produkte, Services und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ähnlich wie Scrum oder Kanban gehört Design Thinking zu den agilen Ansätzen und soll eine Änderung der Unternehmenskultur hin zu mehr Offenheit für Neues, Ungewisses und Menschen mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen forcieren. Diese Zentrierung auf den Menschen ist ein wesentliches Kernelement des Design Thinking Mindsets:  Die Nutzenden und deren Bedürfnisse werden von Beginn an ins Zentrum gerückt. Dies umfasst ein aktives Zugehen auf interne wie externe Kund:innen, um deren Situation, Wünsche und Bedürfnisse zu identifizieren und dann gemeinsam mit ihnen Lösungen zu entwickeln und zu testen. 

 

Funktionsweise 

Das systematische und iterative Vorgehen im Design-Thinking-Prozess, wie es in der d.school des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam gelehrt wird, gliedert sich in die sechs Phasen – Verstehen, Beobachten, Sichtweise definieren, Ideenfindung, Prototypenentwicklung und Testung. Diese sechs Phasen lassen sich auch mit dem sog. Double Diamond in die zwei Bereiche Problem- und Lösungsraum einteilen.  

Schritt 1: Der Problemraum 

Im ersten Bereich – dem Problemraum – geht es darum, zunächst das Problem zu verstehen und einzugrenzen. Hierfür werden alle vorhandenen Informationen zusammengetragen, um ein möglichst umfassendes und einheitliches Verständnis zu erlangen. Danach wird versucht, mittels Beobachtungen und Befragungen die Situation der Nutzenden ganzheitlich zu erfassen. Hier sollen alle positiven wie negativen Eindrücke und die dahinterliegenden Beweggründe identifiziert werden. Ziel ist, ein Bild darüber zu entwickeln, wer die Nutzenden sind, was sie antreibt und welche Probleme, Wünsche und Bedürfnisse sie haben. Als Verfahren eigenen sich hierfür beispielsweise Empathy Maps, Personas, Customer Journeys und die AEIOU-Methode. Auf Basis der gesammelten Daten lässt sich dann die Sichtweise definieren, was genau die Fragestellung beziehungsweise das lösende Problem ist. Als Methoden eignen sich hierfür das Context-Mapping, Akzeptanzkriterien oder der How-might-we-Ansatz. Am Ende dieser Phase ist der Problemraum definiert und die Weichen gestellt für den Übergang in den Lösungsraum.

 

Schritt 2: Der Lösungsraum 

Im Lösungsraum werden nun auf Basis der zuvor definierten Rahmenbedingungen Ideen und Prototypen entwickelt und getestet. Zur Entwicklung von Ideen können verschiedene Kreativitätstechniken genutzt werden, beispielsweise Brainstorming, Crazy 8, 6-3-5 oder das Scamper Verfahren. Hiernach erfolgen die Vorstellung und die anschließende Auswahl geeigneter Ideen, die zum Prototypen weiterentwickelt werden. Zur Priorisierung kann etwa eine Auswirkung-Aufwand-Matrix verwendet werden. Für die Erstellung eignen sich kleine Erklär-Videos, Mock-ups, Rollenspiele, Papier-Prototypen oder Lego-Welten. Die anschließende Testung der Prototypen erfolgt mit potenziellen Nutzenden, welche bei ihrer Interaktion beobachtet und befragt werden. Hierfür eignen sich beispielsweise Interviews oder A/B-Tests. Wichtig ist dabei, dass die Erkenntnisse gut dokumentiert und systematisch zur verfeinerten Auswahl und Weiterentwicklung der Prototypen genutzt werden.

Personen sitzen am Tisch und besprechen sich.

Die Vorteile von Design Thinking

Abschließend lässt sich festhalten, dass Design Thinking sowohl eine Grundhaltung als auch ein systematischer Ansatz zur Lösung von komplexen Problemen aus verschiedenen Bereichen ist. Studien zeigen, dass die aktive Nutzung des Ansatzes beispielsweise zu einer Erhöhung der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung beiträgt. Wichtige Grundsätze, die den gesamten Prozess leiten, sind Empathie für das Team und die Nutzenden, Iteration der verschiedenen Phasen und Vielfältigkeit im Team, in den angewendeten Methoden und in den entwickelten Lösungen. Ziel ist es, im Unternehmen oder der Organisation eine agile und flexible Lern- und Arbeitskultur zu etablieren, um sich im stetigen Wandel zu behaupten und diesen mit innovativen Lösungen aktiv mitzugestalten.