Künstlicher Intelligenz (KI) wird attestiert, vielfältige Chancen zur Bewerkstelligung der Probleme unserer Zeit zu bieten. Das gilt unter anderem auch für Bereiche, in denen Nachhaltigkeit gefördert werden soll. Das große Potenzial der KI erwächst vor allem aus der Möglichkeit, in großen Datenströmen nach Mustern zu suchen und damit Bedarfe sowie daraus abgeleitete Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln.  

„Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie der Digitalisierung, die aktuell an der Schwelle zur Diffusion in vielfältige Anwendungsbereiche steht.“, definiert das Umweltbundesamt in der Studie „Künstliche Intelligenz im Umweltbereich − Anwendungsbeispiele und Zukunftsperspektiven im Sinne der Nachhaltigkeit“. In der Studie werden Akteure analysiert, die die Entwicklung vorantreiben, und Entwicklungskorridore für KI im Bereich Nachhaltigkeit dargestellt: KI für eine ressourceneffizientere Industrie, KI und (IT-)Infrastruktur für KI, KI für einzelne Sektoren, KI als Sicherheits- und Warnsystem für den Umweltschutz, KI als Impulsgeber für die Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung und KI als Betriebssystem für das „Raumschiff Erde“. 

Im Folgenden wird auf einige der Möglichkeiten näher eingegangen, aber auch Anwendungsbereiche darüber hinaus sollen skizziert werden. Der Artikel ist auch als Ideengeber gedacht.  

Möglichkeiten für KI 

Konsumgüter

64 Prozent der Bevölkerung stufen den Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtig ein, wie das Umweltbundesamt in einer Umfrage im Mai 2019 feststellt. Mit dem gewachsenen Umweltbewusstsein steigt auch das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum. Aber was ist nachhaltig? Verbraucher sind hier mit einer Vielfalt an Umweltlabeln und Pseudoaufklärungen konfrontiert. Gerade in den Bereichen des alltäglichen Lebens (Lebensmittel, Kleidung, Elektronik, Müll etc.) wird es für Verbraucherinnen und Verbraucher immer schwerer zu verstehen, was nun nachhaltig ist und was nicht. 

Hier ergeben sich Ansatzpunkte für KI-assistierte Digitalisierung: zur Bewertung und zum Vergleich von Labeln, zur Darstellung des ökologischen Fußabdrucks, zur Ermittlung des CO2-Ausstoßes, des Wasserverbrauchs oder des Ressourcenverbrauchs, zur Nachvollziehbarkeit der Lieferketten und Einhaltung von Standards (beispielsweise bei Mode) und vielem mehr. 

Energiewende

Die Zukunft der Energiewende ist innovativ und weitgehend digital. Der nächste Schritt der Energiewende ist auf smarte Lösungen angewiesen. Smart Energy umfasst jedoch mehr als nur smarte Netze oder smarte Zähler. Smarte Lösungen sind gefragt zur Erhöhung der Energieeffizienz, für Ausbau und Modernisierung des Stromnetzes insbesondere im Niederspannungssektor, zur Verknüpfung verschiedener regenerativer Erzeugungskapazitäten zu virtuellen Kraftwerken, zur Einbindung und effizienteren Nutzung von Speichern, zur verstärkten Verknüpfung der Systeme Strom, Wärme und Mobilität (P2X), für effizienteres Erzeugungs- und Lastenmanagement für zielgenauere Prognosen und zur besseren Regelbarkeit dezentraler Erzeugung. Daraus ergeben sich umfassende Innovationsnotwendigkeiten und neue Geschäftsmodelle, die unterstützt werden müssen. 

Für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende werden auch komplexe Systeminnovationen benötigt. Systeminnovationen sind technologisch basierte Innovationen, die das Einbinden und Zusammenwirken verschiedener Komponenten in einer Systemarchitektur realisieren. Sie überwinden organisatorische und fachliche Grenzen und sind geprägt vom Zusammenwirken unterschiedlicher Stakeholder entlang von Wertschöpfungsprozessen. Erfolgreich umgesetzt, können aus ihnen Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entstehen. 

Es werden Innovationen in einer Vielzahl an Bereichen benötigt. Für die Erhöhung der Energieeffizienz zum Beispiel in den Bereichen Bereitstellungs- und Nutzungstechnologien, systemische Optimierungen, Verknüpfung von Effizienz- und Energieerzeugungstechnologien. Für den notwendigen Ausbau und die Modernisierung des Stromnetzes werden intelligente Netze benötigt, die – über eine Vielzahl zu installierender Sensoren und Software – nicht nur Prosumer miteinander verbinden, sondern auf Basis von Erzeugungs- und Lastprognosen Reaktionen in Echtzeit ermöglichen und über die Einbindung von Speichern und flexiblen Kapazitäten, Schwankungspuffer bereitstellen. Die Entwicklung, Optimierung und Einbindung von Speichertechnologien bietet ein hohes Innovationspotenzial, im Strombereich, aber auch gerade in den Bereichen der systemischen Übergänge Strom-zu-Wärme (P2H) und Strom-zu-Gas (P2G). Im sozioökonomischen Bereich müssen verbesserte Marktlösungen und verstärkt gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten gefunden und eingeführt werden.  

Die Digitalisierung der Energiewende ist dabei von zentraler Bedeutung für die Bewerkstelligung dieser Übergänge. Ein Smart Grid – ein intelligentes Netz für die Stromübertragung – stellt einen ersten Schritt dar. Die Digitalisierung der Energiewende geht jedoch weit über ein Smart Grid hinaus. Durch die Digitalisierung von Infrastrukturen und Prozessen werden neue Innovationen und damit eine stärkere Integration der verschiedenen Energiesysteme zu einer intelligenten und systemübergreifenden Energieversorgung erst möglich. 

KI kann an jedem dieser Punkte unterstützen und dabei helfen, die Steuerung intelligenter Netze, verteilter Verbraucher und Erzeuger sowie schwankender Erzeugungskapazitäten zu optimieren und somit signifikant zur Reduktion der Treibhausgasemissionen und Minimierung des CO2-Ausstoßes beizutragen. Unter Energieversorgern wird das Potenzial der KI zur Effizienzsteigerung als sehr hoch eingeschätzt. So erwarten 63 Prozent der Energieversorger Effizienzsteigerungen von bis zu zehn Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre und elf Prozent erwarten Effizienzsteigerungen zwischen dreißig und fünfzig Prozent.[1]  

Im Gebäudesektor lassen sich mit intelligenter Regeltechnik, etwa bei der Heizungstechnik, allein durch eine intelligente Regelung der Heizungsanlage und Verteilung der Heizleistung innerhalb der Wohnung zweistellige Einsparpotenziale von mindestens zehn und maximal dreißig Prozent erreichen. KI und Digitalisierung können – richtig angewendet - gerade im energieintensiven Gebäudesektor hohe Energieeinsparungen heben. Nicht erst seit der neuesten Energieknappheit steigt die Nachfrage nach Energiedienstleistungen von Startups. Diese haben das erkannt. Die Energiekrise lässt die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen wachsen. 

Einer aktuellen Studie des bitkom zufolge, möchten mehr als die Hälfte aller privaten Haushalte Smart Meter nutzen und fast 80 Prozent möchte mehr Energie sparen, weiß jedoch nicht genau wie. Gerade im Smart Home und Energieeffizienz-Bereich bestehen hohe Potenziale für KI-Dienstleistungen.  

Steuerung/Nutzung von Abfallströmen/Vermeidung von Abfall

Noch immer landen unglaubliche Mengen an Ressourcen im Müll und Abwasser (beispielsweise Abfallaufkommen Siedlungsabfall (UBA): 51,8 Mio. t in 2017 (1 t weniger als in 2002), Recyclingquote lag bei 67,2 Prozent in 2017, Verpackungsmüll: 220,5 Kilo pro Kopf im Jahr 2016 (18,2 Millionen Tonnen insgesamt) -70 Prozent Verpackungsmüll wurde 2016 recycelt (85,5 Prozent bei Glas, 87,9 Prozent bei Alu, 88,7 Prozent bei Papier und Karton, 92,1 Prozent bei Stahl, 26 Prozent bei Holz), Plastikmüll: 38 kg Plastikmüll pro Kopf in 2019 (24,9 kg pro Kopf in 2016) - weniger als 1 Prozent wird recycled. Dabei liegen hier hohe Potenziale in der Vermeidung oder in der Nachnutzung.  

Bereits die – sortenreine - Sammlung verschiedener Abfallarten, wie Plastik oder Biomüll, gelingt häufig nicht vollständig. Dies liegt zum einen natürlich an den Verbrauchern – nur wird man die nie zu 100 Prozent alle an Bord bekommen, zum anderen aber auch an der Komplexität der Logistik.  

Auch die über 100 verschiedenen Sorten Kunststoff lassen sich schlecht sortenrein sammeln, lassen sich schlecht trennen und schlecht recyceln (nur Sortenreines wird recycelt), Verbundmaterial ist ein echtes Problem. Im Ergebnis wird sehr viel Plastikmüll exportiert und landet letztendlich im Meer, beziehungsweise als Mikroplastik in der Umwelt und im menschlichen Körper (auch wenn man keinen Fisch isst). 

An all diesen Stellen ergeben sich Potenziale für KI im niederschwelligen Bereich. Bereits im Bereich der Abfallvermeidung (beispielsweise Foodsharing, Tauschbörsen, Spendenportale, Secondhand-Börsen, gemeinsam Großgebinde einkaufen etc.) sind große Potenziale noch lange nicht gehoben.  

Außerdem können Abfall- und Stoffströme gemessen, analysiert und gesteuert werden. So könnte beispielsweise ein besseres Trennsystem für Plastikrecycling (Erkennen der Plastiksorte) helfen. Automatische Ladestandsanzeigen in Biotonnen helfen der schnellen Entleerung und Tools zur Nachvollziehbarkeit regelmäßig anfallender Stoffströme aus der Lebensmittelproduktion oder Verwendung kann einer Kanalisation und Verwertung derselben behilflich sein.   

KI kann auch beim Prinzip Cradle-to-Cradle by Design, also der besseren Recyclebarkeit bereits im Planen des Geräts behilflich sein. Bei der Analyse und Prognose von Rohmaterialströmen und Lieferketten, im Hinblick auf Verbräuche und Schwachstellen gleichermaßen, liegt insbesondere seit der Energiekrise ein besonderes Potenzial und seit den akuten Lieferengpässen sogar ein wirtschaftlicher Anreiz. 

Mobilität

Der Anspruch an Mobilität-Services ist es, jederzeit überall hinzukommen. Das World Economic Forum sagt in einer Studie voraus, dass in Boston künftig ein Drittel aller Mobilität via Mobility-on-Demand stattfinden wird (einschließlich Fahrzeuge mit Autopilot). Individuelle Mikromobilität erfreut sich auch in Deutschland wachsender Beliebtheit. Dies bezeugt allein schon die hohe Anzahl E-Scooter in Großstädten. So nervig sie vielen auch scheinen mögen, so haben sie doch – neben dem Spaßfaktor – auch das Potenzial, die öffentlichen Verkehrsmittel durch die Bereitstellung der individuellen Last Mile attraktiver zu gestalten.  

Nicht nur die autonom betriebenen Fahrzeuge der Zukunft sind auf KI zur Verarbeitung der massiven Datenströme angewiesen, auch für die Planung der öffentlichen Verkehrsleistung und -führung, für das Fahrzeugmanagement, für die Wege- und Straßenplanung kann KI wertvolle Auswertungen liefern. Auch Verbraucher würden einen smarten One-Stop-Shop für ihr individuelles Mobilitätsmanagement sicherlich zu schätzen wissen.   

Viele Neufahrzeuge stehen auf einem Parkplatz

Erkenntnisse

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Potenziale für Start-ups und KMU in diesem Bereich sehr hoch sind, da hier flexibles und schnelles Beantworten von Bedarfen des Marktes mit cleveren Ideen gefragt ist. Insbesondere entlang der gesamten energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette, im Bereich Energieeffizienz und Ressourceneffizienz beziehungsweise Materialeffizienz sowie im Bereich Abfall-, beziehungsweise Stoffstrommanagement bestehen hohe Potenziale für neue Akteure der IT-Branche beziehungsweise neue Anbieter von Systemlösungen im Bereich KI oder KI-assistierte Systeme. 

„Grüne Start-ups sind stark im Kommen“, bestätigt auch der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e. V. KI braucht allerdings auch sehr viel Energie. Jedoch hauptsächlich zum anfänglichen Lernen und Training. Wenn ein System/Network ausgelernt hat, kann es helfen Energie zu sparen. Viele KI-Anwendungen lassen sich zudem auch flexibel betreiben. Eine Idee wäre es daher, lernende KI-Anwendungen an Punkten anzusiedeln, an denen – durch die fluktuierenden Erneuerbaren Energien Wind und Sonne − punktuelle Stromüberschüsse entstehen – zum Beispiel nahe Offshore-Windparks oder in der Nähe großer Freiflächen Photovoltaik Anlagen.