Juli 2021


Die Digitalisierung und der Erfolg des Online-Handels haben eine Vielzahl von Branchen in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Besonders betroffen sind beispielsweise die Reisebranche, aber auch der Buch- sowie der Elektronikfachhandel. Statt in Geschäften vor Ort einzukaufen, greifen Kunden immer häufiger auf digitale Bestellangebote zurück. Dazu kommen neue Geschäftsmodelle, welche sich zunehmen etablieren und eine starke Konkurrenz für etablierte Händler darstellen. Immer mehr Einzelhändlern stellen sich daher die Frage, wie sie im Wettbewerb mit reinen Online-Anbietern bestehen können. Denn nicht nur die Kundschaft erfreut sich am Komfort der digitalen Konkurrenz. Auch ist der Betrieb eines Online-Handels meist deutlich kosteneffizienter im Vergleich mit Filialen. Hersteller und Produzenten können sich auf digitalem Weg direkt an die Kundschaft wenden und den Einzelhandel als Zwischenstation ausklammern. Zudem sind Kunden heutzutage zu einem hohen Grad digitalisiert, weshalb Unternehmen ihre Online-Angebote dahingehend anpassen müssen. Hier kommen Multi-, Cross- und Omnichannel-Konzepte zum Einsatz: Digital zu konkurrieren bedeutet, über viele Kanäle hinweg präsent zu sein: rund um die Uhr auch per Smartphone, Tablet oder Computer, im Online-Shop oder über Social Media-Kanäle. Durch Daten wie Besuchsdauer auf einer Webseite oder Einkaufshäufigkeit können Unternehmen zunehmend mehr über ihre Kunden herausfinden, direkt mit ihnen kommunizieren und in Echtzeit maßgeschneiderte Angebote unterbreiten. 

Multi-, Cross- und Omnichannel – was steckt dahinter?

Begriffe wie Multi-, Cross- und Omnichannel beschreiben den Digitalisierungsgrad von Handelsunternehmen. Oft werden die Begriffe fälschlicherweise synonym verwendet, doch in Wirklichkeit verstecken sich dahinter unterschiedlich umfangreiche Konzepte für den Digitalauftritt. Beim Multichannel betreibt ein Anbieter mehrere verschiedene, mindestens jedoch zwei Kanäle. Wenn ein Geschäft also neben den physischen Geschäftsräumen auch eine Webseite und ein Facebook-Profil betreibt, liegt bereits ein Multichannel vor. Überschneidungen zwischen den Kanälen gibt es hierbei nicht. Viel mehr existieren sie getrennt voneinander. Im Falle eines Crosschannels werden ebenfalls verschiedene Kanäle betrieben, bei denen allerdings schon eine gewisse Vernetzung stattfindet. Zum Beispiel könnte ein Geschäft über die Social Media-Kanäle Gutscheine verlosen, die dann wiederum über den Online-Shop auf der Webseite oder vor Ort im Laden eingelöst werden können. 

Beim sogenannten Omnichannel-Ansatz ist der bislang höchste Grad der Digitalisierung erreicht. Verschiedene Kanäle und Kundenkontaktpunkte – sowohl in der Filiale vor Ort als auch über den Webauftritt, Social Media-Kanäle und Smartphone-Apps – verfolgen dabei eine gemeinsame, übergreifende Strategie. Auch weitere klassische Werbekanäle wie Kataloge, Flyer, Plakat- oder TV-Werbungen können mit eingebunden werden. Dabei findet eine regelrechte Verschmelzung der verschiedenen Kanäle statt, sodass Kunden zu jeder Zeit während des Kaufprozesses zwischen diesen wechseln können. Ein Konsument könnte beispielsweise ein Produkt über Social Media entdecken. Ein Klick führt ihn direkt zur Webseite des Unternehmens, wo er sich genauer darüber informiert. Er macht unterwegs über die App des Unternehmens die nächste Filiale ausfindig und erfährt, ob sich das gewünschte Produkt vor Ort befindet. Der Kunde besucht die Filiale, sieht es sich noch einmal an und lässt sich vom Fachpersonal vor Ort beraten, bevor er den Kauf abschließt. 

Kunden werden in diesem Prozess hohe Flexibilität und Komfort geboten, sodass sie den Kaufvorgang ganz nach den eigenen Wünschen vollziehen kann. Das ist wichtig, weil Endkonsumenten sich beim Einkauf nicht den Kopf darüber zerbrechen wollen, welchen Kanal sie gerade nutzen. Die generelle Erwartungshaltung ist, dass alle Optionen jederzeit zur Verfügung stehen. Doch erst wenn es zu keinem Bruch mehr zwischen Online und Offline kommt, können die Grenzen zwischen stationären Filialen und Online-Shops verschwimmen. Je weniger Hürden Kunden in den Weg gelegt werden, desto wahrscheinlicher wird der erfolgreiche Kaufabschluss – Stichwort: User Experience. Zu den Services, die inzwischen von vielen Konsumenten erwartet werden, zählen etwa laut einer Studie des Zukunftsinstituts:

  • das Zurückgeben bzw. Umtauschen von online gekaufter Ware im Ladengeschäft,
  • das Online-Bestellen von Artikeln und deren Versand aus dem Ladengeschäft, 
  • das Bestellen von Ware im Ladengeschäft und deren Lieferung nach Hause, 
  • das Reservieren oder Bestellen von Produkten online und die Abholung (und Bezahlung) der Ware im Shop (Click & Collect mit oder ohne Bezahlung im Geschäft) sowie
  • Online-Verfügbarkeitsanzeigen stationär angebotener Produkte.

Umfangreiche Omnichannels benötigen umfangreiche Kapazitäten

Die Umsetzung solcher Services erfordert jedoch auch die entsprechenden Kapazitäten und Ressourcen. So setzen bisher vor allem große, umsatzstarke Händler in den Branchen Mode, Haushaltswaren, Möbel und Unterhaltungselektronik auf Omnichannel-Retailing. Während die Vorteile für den Kunden auf der Hand liegen, sieht sich der Handel bei der Umsetzung von Omnichannel-Lösungen nicht immer ganz trivialen Herausforderungen gegenüber. Dabei stellen sich unter anderem neue Anforderungen an die Kommissionierung: So muss die Palettenlieferung im Handel mit der Paketlieferung für Privatkunden effizient abgeglichen werden. Mit Blick auf die Warenwirtschaftssysteme müssen für einige der angebotenen Dienste Informationen in Echtzeit über den tatsächlichen Warenbestand verfügbar sein, sowohl im Filialnetz als auch in den Logistikzentren. Hierfür sind neue IT-Lösungen häufig unabdingbar. Einen nicht unbedeutenden Erfolgsfaktor für Omnichannel-Modelle bildet zudem die Unternehmenskultur, denn unterschiedliche Vorstellungen und Ziele unter den für die einzelnen Kanäle zuständigen Personen bzw. Abteilungen erschweren die erfolgreiche Umsetzung eines Omnichannels. 

Trotz dieser Herausforderungen bieten Omnichannel-Lösungen auch Vorteile für kleine regionale Anbieter. Ein Team aus ProfessorInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Hochschule der Medien Stuttgart und der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg arbeitet am „Forschungszentrum für Omni-Channel-Marketing im nachhaltigen Food-Bereich“. Das Ziel der Forschenden ist es, die Anforderungen und Hemmnisse nachhaltigen Konsums zu verstehen und entsprechende digitale Systeme zur Optimierung der Wertschöpfungskette zu entwickeln. Nachhaltig wirtschaftende Erzeuger können die Größenvorteile von Massenmärkten häufig nur bedingt nutzen. Mithilfe von Omnichannel-Lösungen soll ihnen deshalb die Nutzung digitaler Vertriebskanäle ermöglicht und die Zusammenarbeit von Produzenten und Händlern erleichtert werden. Zahlreiche Anlaufstellen können kleinen und mittelständischen Unternehmen dabei unter die Arme greifen, eine entsprechende Strategie zu entwickeln und umzusetzen.

Die immer höhere Vernetzung bedeutet jedoch nicht, dass der stationäre Handel ein Auslaufmodell ist: Kunden haben nach wie vor das Bedürfnis, Produkte vor Ort erleben und ausprobieren zu können. Das haben auch viele große Online-Only-Player – also Unternehmen, die bislang ausschließlich online agierten – verstanden und eröffnen deshalb eigene Läden oder Showrooms. Es wird in Zukunft also wichtig sein, dass der physische Einkauf vor Ort einen gewissen Erlebnischarakter erhält. Das Geschäft ist nicht einfach nur ein Verkaufsraum, sondern wird zum Markenmedium, in dem anregende Erlebnisse vermittelt und die Kundenbindung erhöht wird. Der Einzelhandel stirbt also nicht aus, sondern wird einladender und vernetzter.