Wie KMU durch digitale Technologien widerstandsfähiger und innovativer werden 

Der Begriff digitale Resilienz wird zumeist auf die Flexibilität von Maschinen, Systemen, Organisationen und Unternehmen bezogen, auf sich verändernde Situationen mithilfe digitaler Technologien optimal zu reagieren. Digitale Resilienz (auch Anpassungsfähigkeit genannt) trägt in diesem Sinne dazu bei, sich auf Krisen rasch einzustellen, sich anzupassen und dadurch die Auswirkungen von Krisen zu vermeiden bzw. diese so gering wie möglich zu halten. In einem erweiterten Sinn steht digitale Resilienz jedoch nicht nur für das Aufrechterhalten der Handlungsfähigkeit im Einzelfall, sondern im Sinne digitaler Souveränität für die generelle Fähigkeit von Menschen, Organisationen und Unternehmen, digitale Technologien so souverän zu beherrschen, dass durch sie Innovationen möglich und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. 

Die vielen unterschiedlichen Bedeutungsebenen, die mit digitaler Resilienz verbunden sind, führen dazu, dass es derzeit noch keine einheitliche Definition des Begriffes gibt. Dazu trägt auch bei, dass der Begriff Resilienz in vielen anderen Wissenschaften und Bereichen genutzt wird, deren Bedeutungen teilweise in den Begriff der digitalen Resilienz miteinfließen. So bezeichnet Resilienz in der Psychologie beispielsweise die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen, während die Soziologie den Begriff ausdehnt und damit die Fähigkeit von Gesellschaften meint, externe Störungen zu verkraften. Durch den von der Coronakrise ausgelösten Digitalisierungsschub ist digitale Resilienz zudem näher an den Resilienz-Begriff der Ökonomie gerückt, wo er für die Fähigkeit von Unternehmen und Ökosystemen steht, Krisen zu meistern und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. 

In der Summe ist digitale Resilienz ein von der Digitalisierung umrahmter Begriff, der gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Aspekte umfasst und zugleich die gegenseitige Abhängigkeit dieser Aspekte voneinander aufzeigt. Um Krisen zu vermeiden oder zu bewältigen, genügt es schließlich nicht, sich auf einzelne Punkte zu konzentrieren. Bildlich formuliert sollen nicht nur die Symptome, sondern möglichst die Krankheit kuriert bzw. die Widerstandfähigkeit gegen sie gestärkt werden. Dafür bedarf es eines Verständnisses komplexer Zusammenhänge.  Der Begriff der digitalen Resilienz eignet sich bestens dafür, solche Komplexe zu erfassen und auf dieser Basis ganzheitliche Lösungen für mehr Widerstandfähigkeit zu entwickeln. 

Digitale Resilienz unterstützt langfristige Digitalisierungsstrategie  

In der weltweiten Coronavirus-Pandemie kamen Unternehmen mit hohem Digitalisierungsstand besser durch die Krise als Unternehmen, die beispielsweise keine Erfahrung damit hatten, Mitarbeitenden das Arbeiten im Home-Office oder von unterwegs zu ermöglichen. Der „KfW-Digitalisierungsbericht Mittelstand 2020“ weist aus, dass rund ein Drittel der mittelständischen Unternehmen ihre Digitalisierungsaktivitäten im Pandemiejahr 2020 ausgeweitet haben und spricht von einem Digitalisierungsschub. Vor allem die zweite Pandemiewelle bewirkte eine Steigerung der Aktivitäten, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass von der Krise besonders betroffene Unternehmen ihre Anstrengungen steigerten. Allerdings macht der Bericht auch deutlich, dass es sich dabei vor allem um Maßnahmen handelte, mit denen der Geschäftsbetrieb sichergestellt werden konnte oder die zur Generierung von Umsätzen (etwa durch die Umstellung auf Online-Handel) zwingend notwendig und schnell umsetzbar waren. Es handelte sich also vor allem um ein auf kurzfristige Änderungen angelegtes Risikomanagement.  

Digitale Resilienz ist dagegen eingebettet in eine langfristige Digitalisierungsstrategie. Denn nur mithilfe langfristiger Planung gelingt es, einerseits im Wettbewerb nicht abgehängt zu werden und andrerseits auch für künftige Krisen gewappnet zu sein. So haben beispielsweise digitale Vertriebs-, Verkaufs- und Kommunikationskanäle in der Coronapandemie weltweit an Bedeutung gewonnen. Viele Unternehmen haben sich in deshalb neue digitale Geschäftsmodelle erschlossen, indem sie mehr Aktivitäten ins Internet verlagerten. Die digitale Resilienz wurde damit zwar kurzfristig verbessert, jedoch um den Preis, nun abhängiger von großen, international agierenden Technologiekonzernen und deren Plattformen zu sein.  

Das birgt die Gefahr, bei allen künftigen Entwicklungen von diesen Techkonzernen getrieben zu werden. Gerade für mittelständische Unternehmen, die von individuellen Lösungen leben, ist es daher wichtig, sich durch eine langfristige Digitalisierungsstrategie ein größtmögliches Maß an Unabhängigkeit zu bewahren. In diesem Sinne bedeutet digitale Resilienz für kleine und mittlere Unternehmen immer auch, sich digitale Innovationen anzueignen oder sie selbst zu entwickeln und Mitarbeitende dazu zu befähigen, mit den Potenzialen der Digitalisierung souverän umzugehen. Digitale Resilienz stellt sich dabei allerdings nicht nur als Aufgabe für Unternehmen dar, sondern benötigt auch die Erfüllung struktureller Voraussetzungen. 

Digitale Resilienz als infrastrukturelle Aufgabe  

So gehört zweifellos ein flächendeckendes, schnelles und störungsfreies Internet mit zu den wichtigsten Voraussetzungen, um Digitalisierung und damit auch digitale Resilienz zu ermöglichen. Unmittelbar darauf auf baut eine offene, dezentral organisierte Infrastruktur für die Nutzung von Daten, wie sie durch das Projekt GAIA-X derzeit auf europäischer Ebene und auf Basis europäische Werte entwickelt wird. Mit GAIA-X wird es möglich sein, Daten über Plattformen mit anderen Unternehmen sicher und unter Wahrung europäischer Datenschutznormen sowie der Datensouveränität auszutauschen. GAIA-X schafft damit u. a. die Voraussetzung für die Nutzung smarter Services sowohl im Geschäft mit Verbrauchern als auch mit Geschäftskunden, beispielsweise in der Smart Factory.  

Da in Zukunft immer mehr Daten generiert und für Geschäfte kollaborativ genutzt werden, ist digitale Resilienz zudem immer stärker mit Fragen der digitalen Sicherheit verknüpft. Schon heute ist die Gefahr von Cyberangriffen für Unternehmen enorm. In Zukunft wird diese Bedrohung weiterwachsen. Zur digitalen Resilienz gehört daher auch, dass sich Unternehmen besser auf die mit den Informationstechnologien einhergehenden Risiken einstellen − etwa durch den Einsatz von Antivirus-Software, die Nutzung von Verschlüsselungen, starken Authentifizierungen und der Sensibilisierung von Mitarbeitenden für die Gefahren im Umgang mit IT-Systemen.  

Digitale Resilienz auf Liefer- und Produktionsebene 

Ein weiterer Aspekt digitaler Resilienz betrifft die Robustheit von Lieferketten und Produktionsmaschinen bzw. -anlagen. Hier verspricht vor allem der Einsatz Künstlicher Intelligenz in Zukunft große Vorteile, da sie vorausschauende Planung ermöglicht. Das bekannteste Beispiel dafür ist sicher die vorausschauende Wartung („Predictive Maintenance“) von Maschinen und Anlagen. Dabei wird der Status Quo der Maschinen und Anlagen in Daten fortlaufend erfasst und analysiert, wann Ausfälle drohen, sodass die Systeme rechtzeitig gewartet werden können. Da für solche Analysen und Vorhersagen große Datenmengen benötigt werden, profitieren kleine und mittlere Unternehmen bislang nur unterdurchschnittlich von diesen Innovationen. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt SPAICER will das ändern und entwickelt derzeit eine Plattform für sogenannte Smarte Resilienz-Services, die mittelständische Unternehmen individuell auf ihre Bedürfnisse anpassen können.  

Mit diesen Services wird es z. B. möglich sein, beim industriellen Feinschneiden einen Werkzeugbruch noch vor dem Ausfall des Werkzeugs zu erkennen, sodass ein Werkzeugaustausch frühzeitig geplant und damit ein kostspieliger Produktionsstillstand vermieden werden kann. In einem weiteren Use Case arbeitet das Projekt daran, Unterbrechungen der Lieferkette vorhersagbar zu machen. Dafür werden u. a. weltweit Wetterbedingungen analysiert, sodass früh erkannt wird, wenn beispielsweise Flussschiffe aufgrund niedriger Pegelstände nicht fahren können und die Versorgung mit Rohstoffen nur mit alternativen Logistikwegen zu sichern ist.  

Die Optimierung von Lieferketten und Produktionsbedingungen hat einen weiteren Effekt: Bedarf und Verbrauch von Rohstoffen und Produkten können besser aufeinander abgestimmt werden. In diesem Sinne umfasst digitale Resilienz auch ein nachhaltigeres Wirtschaften von Unternehmen. Zusammengefasst gibt es gerade für den Mittelstand mehr als nur einen guten Grund, ihre Unternehmenskultur, -prozesse und -sicherheit so zu gestalten, dass – ganz im Sinne digitaler Resilienz – sowohl mehr Flexibilität als auch mehr Robustheit möglich ist.